Haben wir verlernt, uns zu verlieben?
Mit der Liebe ist das so eine Sache. Wann merken wir eigentlich, dass das Gegenüber der richtige Mensch ist? Und warum sind wir so schrecklich überfordert damit, etwas einzugehen, das wir nächste Woche nicht wieder beenden können?
Als Michael Nast vor vier Jahren auf dem Blog imgegenteil.de den Artikel “Generation Beziehungsunfähig” veröffentlichte, rechnete er wahrscheinlich nicht mit so einem einschlagenden Erfolg. Eine Million Menschen klickte innerhalb einer Woche auf den Text, feierten die von ihm beschriebenen Probleme und Anekdoten. Ein Jahr später, 2016, veröffentlichte er das Buch mit dem gleichen Namen wie im Blogtext und beschrieb es darin noch ausführlicher.
Aber was eigentlich? Dass wir uns häufig fragen, ob wir dieses oder jenes hätten besser machen können. Dass 30-jährige zwar mit der eigenen Familie rechnen, aber noch in einer WG leben und Tag und Nacht für ihren Job zur Verfügung stehen. Dass das eigene “Ich” zum grossen Lebensprojekt wird, wir mit uns selbst beschäftigt sind. Michael Nast schreibt unteranderem: “Wir befinden uns in einem anhaltenden Zustand der Selbstoptimierung. Wir wissen, dass alles noch viel besser werden kann. Bis es perfekt ist. Das Problem mit dem Perfekten ist allerdings, das man diesen Zustand nie erreicht.”
Dieser Drang nach Perfektionismus umhüllt mittlerweile sehr stark unser Privatleben. Wir gehen nicht mehr ins nächstbeste Restaurant, sondern checken vorher die Rezensionen im Internet, im Urlaub erscheinen uns teilweise die Bewertungen der bisherigen Gästen wichtiger als der Preis. Ein Jahresabo schliessen wir erst ab, nachdem wir 30 Tage kostenlos testen konnten, ob dieser Dienst wirklich der Beste ist. Nebenbei bevorzugen wir auch noch eine flexible Kündigungsfrist, denn natürlich kann niemand von uns erwarten, das Abo ganze 12 Monate zu benutzen, wenn wir doch nach 3 Monaten eine bessere Alternative gefunden haben!
Zeit der Rückgabe-Garantie
Nicht nur haben wir uns als Gesellschaft daran gewöhnt, dass bei der Kleiderbestellung gleich das Rücksendeetikett beigefügt ist, auch sind wir überfordert mit der schier unglaublichen Auswahl die wir in Zeiten des Internets vorfinden.
Ob dies nun nur die Auswahl an Jeans ist, oder die an möglichen Partnern. Das Gefühl, vielleicht etwas Besseres zu verpassen, während wir gerade unsere Zeit mit einem Date verbringen scheint allgegenwärtig. Und dies haben uns die Dating-Apps ein bisschen eingetrichtert. Mit einem Wisch ist das nächste Profil auf dem Bildschirm, der nächste Like verteilt, das nächste Gespräch angefangen.
Wer mit diesen Grundsätzen eine Beziehung eingeht, läuft Gefahr, diese schnell zu vernachlässigen. Denn im schlimmsten Fall steht die frische Beziehung zwischen sich und den vielen Möglichkeiten, die draussen im Leben auf einen warten würden. Ob wir diese Möglichkeiten jedoch überhaupt benötigen, ist meist zweifelhaft.
Der Gedanke, eine Beziehung könnte einem die Freiheit nehmen ist zwar nachvollziehbar. Er ist aber unsinnig. Denn wirklich frei ist man erst, wenn man nicht mehr wählen muss.
© rethink-blog 2019