Islands Weg in den Norden
Eine Geschichte über eine Insel im hohen Norden Europas namens Island, einem abgelegenen 300-Seelen Dorf namens Þórshöfn und einem Hochseehafen, der Rotterdam in den Schatten stellen soll, namens Finnafjord Port.
Island, das Land wo durch die Finanzkrise 2008 innerhalb weniger Tage die wichtigsten drei Bankinstitute bankrott gingen. Wo schätzungsweise 10’000 Menschen ihre Häuser verloren haben, weil sie auf einen Schlag ihre Kredite nicht mehr zahlen konnten.
Aber Island gab nicht auf. Die Isländerinnen und Isländer beruhten sich auf ihre Vorfahren. Menschen, die mit vielen Krisen zu kämpfen hatten. Ob Vulkanausbrüche, harte Wetterbedingungen oder noch härtere Bedingungen beim Fischfang, dem einstigen Haupterwerb auf der Insel.
Mittlerweile hat Island über 350’000 Einwohnerinnen und gilt in puncto Pro-Kopf-Einkommen und Lebensstandard als führendes Land. Jedes Jahr kommen mehr Besucherinnen auf die Insel, die bekannt ist für ihre weiten und unberührten Landschaften. 2018 waren es 2.3 Millionen Touristinnen.
Jedoch bleiben die meisten Besucher — wie auch Isländerinnen — hauptsächlich an der Westküste, rund um die Hauptstadt Reykjavík. Je weiter man in Richtung Osten fährt, desto leerer werden die ohnehin schon leeren Strassen und desto weniger attraktiv werden die Lebensbedingungen. Junge Menschen ziehen schon länger lieber nach Reykjavík, wo die Kulturszene lebt, wo die Universitäten sind und wo der Tourismus mit Einkommen winkt.
Fährt man jedoch noch weiter an die Nord-Ost Küste, auf die Halbinsel Langanes, hat man die Zukunft erreicht. Zumindest wenn es nach den Plänen der deutschen Bremenports GmbH, dem isländischen Ingenieurbüro Efla und den Gemeinden rund um die Halbinsel geht.
Hier soll der Finnafjord Port entstehen. Ein Hafen mit einer sechs Kilometer langen Mole mit Platz für die ganz dicken Pötte. Auf dem Gelände soll es dazu nachhaltige Fischzucht geben, grosse Lagerflächen für Transportgüter und Umschlagsplätze für arktische Bodenschätze. An denen ist nicht nur US-Präsident Trump interessiert, sondern auch Russland, China und viele andere Staaten.
Dem Dörfchen Þórshöfn soll es zu neuem Aufschwung verhelfen. Denn hier, wo nur rund 300 Menschen leben, war das Leben über Jahrzehnte den Fischen verschrieben. Doch diese Einnahmequelle ist abgewandert. Sprichwörtlich. Durch die Klimakrise erwärmt sich der Atlantik immer mehr. Der Kapelan, der lange Zeit im Frühjahr von Grönland vor die isländischen Küsten gewandert ist, um dort zu laichen, bleibt nun das ganze Jahr über in den nördlicheren Gewässern. Und mit ihm auch sein Fressfeind, der Kabeljau. Mittlerweile sind zwar kleine Makrelenbestände aus südlicheren Gefilden in Richtung Island geflüchtet, jedoch erreicht der Fischfang nie mehr die wirtschaftliche Bedeutung wie vor einigen Jahren. Der Überfischung und der Klimakrise sei Dank.
Volle Kraft nordwärts
In der Fischfabrik in Þórshöfn stapelten sich vor wenigen Jahren noch Hunderte Tonnen Kapelan. Heute sind es noch rund zehn Tonnen Fisch täglich, im August wird mit etwas Glück noch Makrele gefangen. Einst im Dauerbetrieb, steht heute der grösste Teil der Maschinerie still.
Doch Island sieht einen neuen Geschäftszweig. Wenn das Eis rund um den Nordpol in den nächsten Jahrzehnten weiter schmilzt — wie es momentan stark danach aussieht — eröffnen sich in der Schifffahrt neue Wege. Der Nordpol wird zu einer fast gänzlich eisfreien, schiffbaren Route. Der weltweite Schiffsverkehr verkehrt heute praktisch über zwei Routen. Der Suezkanal in Ägypten, der Asien und Europa verbindet und der Panamakanal, der die Fahrtzeit zwischen Asien und Amerikas Ostküste drastisch verkürzt. Beide Schiffsroute durchqueren dabei Gebiete, in denen immer wieder Konflikte aufflammen. Und auf beiden Routen brauchen die Containerriesen rund einen Monat. Eine nicht wirkliche Alternative stellt die Nordostpassage dar, die an der russischen Küste entlang den Nordatlantik mit der Beringstrasse verbindet. Hier brauchen die Schiffe momentan noch die Unterstützung von Eisbrechern und sind so stark von Russlands Preisen und Bürokratie abhängig. Und auch die Nordwestpassage, also entlang der Küste vor Kanada, ist aufgrund der vielen Inseln und Untiefen kein geeigneter Weg für bis zu 300 Meter langen Containerschiffe.
Mit der Nordpol-Route würden die Reedereien Zeit und Geld sparen. Und der Finnafjord Port würde zum Umschlagplatz auf dem neuen, nördlichen Seeweg werden.
Dabei eignet sich angeblich die Halbinsel Langanes besonders. Das Meer ist hier auch direkt an der Küste noch bis zu 75 Meter tief, der Hafen ist ganzjährig eisfrei, die Landzunge schützt vor starken Winden und der Bodenpreis ist billig.
Interesse ist da. Die Rede ist von 15 Milliarden Dollar Investitionssumme. Eingebracht von der deutschen Bremenports GmbH, aber auch Kapitalgebern aus China, Singapur und amerikanischen Pensionsfonds wie Guggenheim Investments. Und doch sind nicht alle Einheimische Feuer und Flamme von diesem Mega-Projekt. Und je weiter die Planungsarbeiten fortgeschritten sind, desto mehr taucht Widerstand auf. Zu gross sind die Umweltbedenken — alleine auf der Halbinsel Langanes brüten rund 30 verschiedene Wasservogelarten — aber auch die Angst, dass die Bewohnerinnen von Þórshöfn am Schluss gar nicht als Gewinnerinnen hervorgehen. So seien zumindest die Verträge für die Landbesitzerinnen am Fjord ernüchternd ausgefallen. Obwohl die Manager vom Ingenieurbüro Efla grosszügig versprochen hätten, wie alle Millionen kriegen würden und die Zukunft für die nächsten Generationen sicher wäre, beinhalteten die Verträge nur 99 Jahre Pacht, von denen die Landbesitzer nicht zurücktreten könnten, die Hafengesellschaft jedoch schon.
Naturschützerinnen befürchten neben der Zerstörung von wichtiger Natur auch ein sogenanntes “LSD-Projekt”. So nennen sie Grossprojekte auf Island, die “der grösste Traum von allen” seien und entweder nicht realisiert werden oder doch nicht für alle einen Traum seien.
Dagegen hält der Direktor für Geschäftsentwicklung bei Efla, Hafsteinn Helgason, an: Die Gegend würde nicht aus dem Schlaf gerissen, sondern eher sanft geweckt. Denn: das Ganze geschehe in Etappen. Man brauche nicht aus dem Stand 500 Leute, "sondern man braucht vielleicht am Anfang 30, 40 pro Firma. Wenn alles aufgebaut ist in 50 Jahren, dann könnte man allerdings schon ein paar Hundert Leute hier beschäftigen."
Tryggvi Felixson, von der Landschaftsschutzorganisation “Landvernd” sagte im Gespräch mit der deutschen Tagesschau, dass das Projekt für ihn zur Unzeit komme. Island wird kaum mit der Touristenschwemme fertig, die letzten Sommer nur ein wenig kleiner geworden ist. Und es gibt die Forderung nach immer neuen Kraftwerken, die aus Wasserkraft und vulkanischer Erdwärme billigen Strom machen sollen, unter anderem für gigantische Computerfarmen, auf denen dann Kryptowährungen wie Bitcoins geschürft werden.
Die wichtigste Ressource, die Island vor mehr als zehn Jahren aus der Finanzkrise rettete, war die schöne Natur. Sie ist mehr wert als Projekte, die 20, 30 Jahre laufen und dann wieder eingestampft werden müssen.
Und so stellt sich die Frage - nicht nur für Island - lohnt es sich überhaupt, nachdem bereits mit den heimischen Fischen eine wertvolle Ressource verschwunden ist, Hals über Kopf in den nächsten nicht erneuerbaren Geldhahn zu investieren? Obschon schon jetzt das Ende dieses "Einkommens" absehbar ist?
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