Wir müssten da mal über die Klimastreiks reden...
Liebe Schweizer, liebe Europäerinnen, liebe Gegnerinnen der Klimastreikenden, liebe Klimastreikende.
Es sind noch keine 6 Monate her, da sollte an dieser Stelle ein Text über die Jugend erscheinen. Ein Text, der gefragt hätte, wieso sich die heutige Jugend so wenig engagiert. Wir hätten zurückgeblickt auf bewegende Abschnitte in der Schweizer Jugendpolitik, wir hätten zusammen die Jugendunruhen in den 80er Jahren analysiert, als in Zürich mehrere Hundert Jugendliche gewaltsam um finanzielle Mittel für ein Jugendzentrum kämpften. Wir würden uns vielleicht fragen, ob die Gewalt nötig war, wären aber wohl der Meinung, dass es sicher gewichtige Gründe dafür gab. Wir würden mit Bewunderung betrachten, was für eine Reaktion in der ganzen Schweiz diese Nacht am 30. Mai 1980 vor dem Zürcher Opernhaus ausgelöst hat und wären der Auffassung, dass dies heute nicht mehr möglich sei.
Wir würden darüber lesen, wie der Autor bei Jungparteien zu Besuch war, dort versuchte herauszufinden, wie politisch wir Jungen wirklich sind. Wir würden vielleicht zum Schluss kommen, dass die Ideen gut sind, aber damit auch schon alles gesagt sei. Wir würden mit älteren Menschen über die Demonstrationen in den 1968er Jahren sprechen, als auf der ganzen Welt junge Menschen gegen den Einsatz der USA im Vietnamkrieg protestierten und dabei mehr Demokratie und Pazifismus forderten.
Wir würden uns fragen, ob dies mit der aktuellen Jugend, die gefühlt nur in den sozialen Medien abhängt und sich von Promis und Sternchen beeinflussen lässt, auch machbar wäre.
Wir wären wohl zum Schluss gekommen, dass wir den heutigen jungen Menschen keine grossen Chancen zurechnen würden. Dieser Text erschien aber hier nicht. Und wird es auch nie. Es gibt keinen Anlass mehr dazu. Denn in diesen 6 Monaten hat sich einiges geändert. Die als weiche und unselbstständige Jugend hat sich über “ihre” Medien organisiert, Gruppen und Slogans gebildet. Sie traten hervor, überholten die gewalttätigen Jugendlichen aus Zürich in den 80er Jahren und wurden… ja, was wurden sie?
Weder ernstgenommen, noch respektiert.
Die Gruppe von Menschen, die sich auf kluge Art und Weise Gehör für ihre Anliegen verschafft hat, wurde ignoriert und auf ihre Probleme reduziert. Niemand stand vor sie her und klatschte. Niemand gratulierte zu ihrem Erfolg, Tausende von Gleichaltrigen an einem Freitag mobilisiert zu haben, um statt dem Schulunterricht beizuwohnen, für ihre Zukunft zu kämpfen. Statt darüber zu schreiben, dass sich soeben eine Generation das erste Mal politisch und gesellschaftlich positioniert, wurde in den wichtigen Blättern und Websites gefragt, welche Sanktionen das Fernbleiben des Unterrichts nach sich ziehen sollte.
Die, die jetzt auf der Strasse stehen, werden morgen mit den Folgen der Politik derer zu kämpfen haben, die sie heute kritisieren.
Die Vorreiterin der internationalen Schulstreiks, wurde auf ihr Alter, ihr Geschlecht und ihren Autismus reduziert. Wir sprachen nicht mehr darüber, dass die Politik eben die CO2-Abgabe im Flugverkehr versenkt hat, dafür diskutierten wir in den Kommentarspalten darüber, ob die Jugendlichen auf der Strasse auch diese Jugendlichen sind, die mit dem Porsche vor die Schule gefahren werden. Wir sind nicht stolz darauf, dass eine 16-jährige Frau an das Weltwirtschaftsforum reist, um bei den Wichtigen und Reichen für Umweltschutz zu werben. Wir schreiben lieber darüber, dass “diese Greta” angeblich ein iPhone besitzt, welches “dann aber nicht so Öko sei”.
Wir, oder vor allem die alten, weissen, konservativen Politiker, die mehr oder weniger einen verbitterten Anschein hinterlassen, vergessen in den sozialen Medien schnell jegliche Kniggeregel, denunzieren Greta und alle anderen Jugendliche aufs Gröbste. Sei es aus Angst vor diesen Jungen, die vielleicht bald nicht mehr die Männer der Schweizer Volkspartei wählen, sondern eben die Grünen. Oder sei es aus Angst, dass diese jugendlichen Menschen es besser wissen, als die in ihren Sesseln eingesessenen Politiker, die seit Jahren mehr schlecht als recht eine Umweltschutzpolitik betreiben.
Aus welchen Gründen auch immer. Wir alle müssen von diesem kritischen Kurs abkommen. Die neue Klimaschutzbewegung nicht an ihrem Alter messen, sondern an ihren Taten. Diese Menschen, die bis vor kurzem noch verschmäht wurden, als unpolitisch deklariert, als unbrauchbar verschrien, haben sich organisiert. Nicht für eine einmalige Sache, nicht um einfach nur die Schule zu schwänzen, sondern um weltweit auf den Klimaschutz und seine Wichtigkeit aufmerksam zu machen.
Denn die, die jetzt auf der Strasse stehen, werden morgen mit den Folgen der Politik derer zu kämpfen haben, die sie heute kritisieren.
aktualisiert am 16.10.19. Inhaltlich wurden keine Änderungen vorgenommen.
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