Weekly, KW06
Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Kalenderwoche 6 endet mit einem nationalen Abstimmungssonntag. Grund genug, die Nachrichtenlage der Woche zusammenzufassen. Wir haben das bereits für dich getan, das Lesen bleibt nun aber in deiner Verantwortung.
Bundesrat weibelt auf Europatour um Unterstützung.
Diese Woche besuchte Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Departments für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) seine deutsche Amtskollegin Bettina Stark-Watzinger in Berlin. Hauptthema des Gesprächs: Teilnahme der Schweiz an “Horizon Europe”, dem EU-Programm für Forschung und Innovation.
Hintergrund:
Nachdem im Mai 2021 der Bundesrat die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen einseitig als für abgebrochen erklärte, gilt die Schweiz als ein “nicht-assoziiertes Drittland”. Die Schweizer Forschung hat damit praktisch keinen Zugang mehr zu Fördergeldern aus der EU.
Aktuell versucht der Bundesrat auf bilateralem Weg Unterstützung für eine Vollassoziierung der Schweiz zu erreichen. Bundesrat Parmelin war am Freitag in Berlin, zuvor war eine britische Delegation in Bern, davor stand ein Besuch in Helsinki auf dem Programm. Der Bundesrat arbeite daran, die Diskussion mit der EU wieder zu beginnen, sagte Guy Parmelin vorgestern gegenüber SRF.
Die Stimmung in den einzelnen EU-Staaten scheint optimistisch. Deutschland hat laut dem WBF Unverständnis über die aktuelle Situation geäussert. Die nicht volle Assoziierung der Schweiz am Forschungsabkommen schwäche den europäischen Forschungsplatz massiv.
Die deutsche Forschungsministerin will sich für die Schweiz in Brüssel einsetzen. Bereits Aussenministerin Baerbock habe Bundespräsident Ignazio Cassis bei seinem Berlin-Besuch im Januar erklärt, dass Deutschland sich engagieren wolle, sodass die Schweiz schnell assoziiert werde.
Was jetzt passiert:
Im selben Boot - wenn auch aus anderen Gründen - wie die Schweiz sitzt Grossbritannien. Mit dem Brexit ist auch die britische Insel aus dem Horizon-Programm gefallen. Das ist für die Schweiz Glück im Unglück, dass sie nicht alleine dastehe. Die EU-Forschungskommissarin Mariya Gabriel wurde diese Woche auf die Schweiz-Grossbritannien-Forderungen angesprochen und gefragt, ob die Politik damit nicht die Forschung behindere. Sinngemäss antwortete sie, dass es natürlich nicht gut sei, wenn die Forschung Spielball der Politik sei, aber man müsse realistisch sein. Und im Falle der Schweiz sei es halt so, dass man die Horizon-Frage nicht von den grundlegenden Fragen der Beziehung Schweiz-EU trennen könne.
Die Unterstützung aus Finnland, Deutschland und etwa auch Österreich ist zwar positiv, aber zuständig für die Verhandlung mit der Schweiz ist die EU-Kommission in Brüssel, nicht die einzelnen EU-Staaten. Und bei der Kommission bleibt das Horizon-Programm wohl blockiert, solange Bundesbern bei den institutionellen Fragen nicht entgegenkommt.
Der Bundesrat hat noch immer nicht dargelegt, wie er nach dem Scheitern des Rahmenabkommen auf Brüssel konkret zugehen will.
Wladimir Putin im Mittelpunkt der internationalen Diplomatie.
In den letzten Tagen und Wochen hat sich in der internationalen Politik alles um einen Mann gedreht, Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
So reiste etwa Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron nach Moskau um mit Putin zu verhandeln. Und Deutschlands Bundeskanzlerin Olaf Scholz zog es nach Washington, um mit dem US-Präsidenten Joe Biden über Putin zu sprechen. Putin wiederum wurde im Zuge der Eröffnung der Winterolympiade in Beijing von Chinas Präsident Xi Jinping persönlich empfangen, das erste Mal seit zwei Jahren, dass Xi Jinping nicht via Video-Schalte mit einem anderen Staatsoberhaupt sprach.
Hintergrund:
Die Ukraine ist nach Russland der grösste Staat Europas. Seit der Unabhängigkeitserklärung im Dezember 1991 steht die Präsidialrepublik vor den grössten Herausforderungen ihrer jüngeren Geschichte. Die Entwicklung in der Ukraine erregt international tiefe Besorgnis und führte zu einem Tiefpunkt der russisch-westlichen Beziehungen: Erst die Proteste auf dem Maidan-Platz 2013, dann die Absetzung der Regierung und schliesslich die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Seither herrschen im Osten des Landes bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen bewaffneten Kräften, die von Russland unterstützt werden (engl.: „Russian backed forces“), und proeuropäischen ukrainischen Kräften.
Zusätzlich sorgt der mögliche Beitritt der Ukraine ins Militärbündnis NATO in Moskau für Unbehagen, da dadurch NATO-Soldat:innen direkt an der russischen Grenze stehen könnten.
Im Frühjahr 2021 ist der 2013/2014 begonnene Konflikt um die Ukraine wieder aufgeflammt. Russland hatte an der Grenze zur Ukraine mit einem massiven Truppenaufmarsch begonnen und rund 100’000 Soldat:innen in der Grenzregion stationiert. Mittlerweile sind in Belarus weitere rund 30’000 Soldat:innen und militärisches Gerät hinzu gekommen. Die beiden Länder führen dort ein gemeinsames Militärmanöver durch.
Die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten befürchten, Russland könnte eine Invasion planen und in das umkämpfte Gebiet einmarschieren. Russland bestreitet ein solches Vorhaben und fordert von der NATO und den USA Sicherheitsgarantien, eine Verringerung der Militärpräsenz an der NATO-Ostflanke und vor allem einen Stopp der NATO-Osterweiterung.
Was jetzt passiert:
Der US-Amerikanische Geheimdienst CIA will einen russischen Funkspruch abgefangen haben, der auf eine Invasion am 16. Februar hinweisen soll. Für viele Beobachter:innen ist ein Einmarsch dank den tiefen Temperaturen im Februar nicht unwahrscheinlich. Alexander Hug, einst für die OSZE in der Ostukraine im Einsatz, sagte dazu im Online-Magazin “Republik”: “Der Winter (ist) rein technisch gesehen diejenige Jahreszeit, in der es passieren muss.”
Etliche westliche Staaten, darunter auch die Schweiz, empfehlen ihren Staatsbürger:innen eine Ausreise aus der Ukraine.
Nationale Abstimmungen:
Heute Sonntag stimmte das Schweizer Stimmvolk über vier Vorlagen ab. Die (vorläufigen) Resultate haben wir dir zusammengefasst:
Volksinitiative “Tier- und Menschenversuchsverbot”: Von Volk und Stände abgelehnt.
Volksinitiative “Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung: Von Volk und Stände angenommen.
Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben: Vom Volk abgelehnt.
Bundesgesetz über ein Massnahmenpaket zugunsten der Medien: Vom Volk abgelehnt.
Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin vor Bundesgericht gescheitert.
Die Netzaktivistin und ehemalige Kantonsrätin im Zuger Parlament ist im Streit um ein geplantes Buch über Geschehnisse rund um die Zuger Landammanfeier 2014 vor Bundesgericht vorerst abgeblitzt. Das Gericht trat nicht auf ihre Beschwerde ein.
Hintergrund:
Spiess-Hegglin reichte beim Kantonsgericht Zug im Mai 2020 ein Gesuch um den Erlass vorsorglicher Massnahmen gegenüber der “Tages-Anzeiger”-Journalistin Michèle Binswanger ein. Sie beantragte, Binswanger vorsorglich zu verbieten, ein Buch, einen Artikel oder eine andere Veröffentlichung zu publizieren, in der Handlungen von ihr bei der Feier thematisiert oder darüber spekuliert würde.
Der Einzelrichter hiess das Begehren gut, wogegen Binswanger Berufung erhob und mit Urteil vom 1. September 2021 Recht erhielt.
Diesen Entscheid zog Jolanda Spiess-Hegglin ans Bundesgericht weiter. Dieses ist jedoch aufgrund eines Formfehlers nicht darauf eingetreten.
Das Urteil vom 1. September 2021 hatte ein vor dem Hauptverfahren gestelltes Gesuch um vorsorgliche Massnahmen zum Gegenstand. Es ist deshalb ein Zwischenentscheid und vor Bundesgericht nur anfechtbar, wenn es einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann, wie das Bundesgericht in seinem Urteil festhielt.
Die beschwerdeführende Partei müsse in einem solchen Fall darlegen, inwiefern diese Voraussetzung erfüllt ist, erklärte das Bundesgericht. Spiess-Hegglin habe sich nicht dazu geäussert. Das habe zur Folge, dass auf ihre Beschwerde nicht eingetreten werden könne. Entsprechend könne sich das Bundesgericht auch nicht zu den Beanstandungen äussern, die Spiess-Hegglin gegen das Urteil vom 1. September 2021 erhoben habe.
Spiess-Hegglin und Binswanger streiten sich juristisch auf mehreren Bühnen. So wurde die Journalistin Michèle Binswanger im Sommer von der Basler Staatsanwaltschaft wegen Verleumdung von Jolanda Spiess-Hegglin zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Grund dafür ist ein Tweet Binswangers, indem sie der Netzaktivistin vorwarf, “seit 5.5 Jahren öffentlich über den Fall zu sprechen und einen Unschuldigen der Vergewaltigung zu bezichtigen.” Laut der Staatsanwaltschaft verbreite Michèle Binswanger damit “wider besseren Wissens” die Unwahrheit.
Binswanger hat dagegen Berufung eingelegt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Ausserdem interessant:
Mitte Januar traf Spiess-Hegglin am Zuger Kantonsgericht auf den Medienkonzern Ringier.
Ringier habe in ihren Print- und Online-Titeln über 160 Meldungen zum Thema veröffentlicht. Die Vertreterin von Jolanda Spiess-Hegglin forderte vom Gericht festzustellen, dass fünf dieser Artikel die Persönlichkeit ihrer Mandantin verletzt hätten. Sie verwies auf Falschangaben in den Artikeln und machte einen schweren Eingriff in die Intimsphäre der Klägerin geltend. Als Konsequenz daraus müsse der Verlag Ringier der Gewinn, der mit diesen Artikeln erwirtschaftet wurde, herausgeben.
Ein solches Urteil würde als wegweisend in der Schweizer Medienlandschaft - aber vor allem im Boulevard-Journalismus - gelten, da bei persönlichen und potenziell verletzenden Artikeln finanzielle Konsequenzen für den Verlag drohen könnten.
Das Urteil oder eine allfällige Beweiserhebung im Fall Spiess-Hegglin gegen Ringier wird schriftlich bekannt gegeben.
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