Weekly, KW08
Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Eine turbulente Woche neigt sich dem Ende zu. Zeit, um auf die Nachrichtenlage zurückzublicken.
Die Welt verfolgte diese Woche die Invasion Russlands und auch die internationale Berichterstattung drehte sich täglich um den Krieg in der Ukraine.
Somit setzen auch wir den Schwerpunkt auf die Ereignisse in Osteuropa:
Russland bricht das Minsker Abkommen, jegliche Diplomatie und das Völkerrecht im Allgemeinen, marschiert in die Ukraine ein, greift somit einen souveränen Staat in Europa an, stürmt dessen Hauptstadt Kiew und sieht sich dabei im Recht.
Zusammenfassung der Ereignisse:
Nach wochenlangem Aufstocken der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine, mehreren Krisentreffen, versuchten Verhandlungen zwischen EU, NATO-Partner, der Ukraine und Russland, anerkannte der russische Präsident Wladimir Putin am Montagabend die zwei Gebiete Luhansk und Donezk als “unabhängige Volksrepubliken” an.
Am Donnerstag, fünf Uhr morgens (Kiewer Zeit) unterzeichnete Putin ein Dekret, welches russische “Friedenstruppen” auf ukrainisches Staatsgebiet schickte “um die Regionen Luhansk und Donezk zu schützen”. In beiden Gebieten herrscht seit 2014 ein Krieg zwischen ukrainischen Regierungstruppen und Separatisten, die von Russland unterstützt werden.
Angesichts des drohenden russischen Einmarsches bat Kiew den UNO-Sicherheitsrat am Mittwoch um eine erneute Dringlichkeitssitzung. Noch während der Rat in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in New York tagte, erklärte Putin in einer Fernsehansprache der Ukraine den Krieg.
Die Angriffe zielen insbesondere auf die drei grössten Städte des Landes: Kiew, Charkiw im Osten und Odessa am Schwarzen Meer. Nach Angaben der ukrainischen Armee gab es Abschüsse von russischen Kampfjets und Militärhelikoptern, jedoch haben die ukrainischen Behörden die Kontrolle über einige Gebiete im Süden des Landes verloren. Ausserdem haben russische Truppen einen Militärflughafen unweit von Kiew eingenommen.
Verlässliche Opferzahlen gibt es bisher nicht. Klar ist: Es gab Tote und Verletzte, darunter auch Zivilisten.
Das Ziel von Russland:
Was Wladimir Putin und der Militärapparat im Moskauer Regierungssitz Kreml konkret vorhaben, ist weiterhin nur eine vage Vermutung. Wahrscheinlich, so sind sich Expert:innen einig, läuft es auf einen Regimewechsel in Kiew und damit der Installation einer prorussischen Regierung hinaus.
Wladimir Putin könnte sich damit den Machterhalt in der Region sichern, da der “kleine Nachbar” wieder unter Kontrolle ist und sich nicht mehr in Richtung EU bewegt.
Europäische Reaktion:
Die Reaktionen aus den westlichen Staaten waren zu erwarten. Bereits im Vorhinein wurde eine militärische Intervention des Militärbündnisses NATO ausgeschlossen. Die Europäische Union, Grossbritannien und die USA konzentrieren sich auf wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Diese Sanktionen zielen darauf ab, dem Land und seiner Wirtschaft erheblichen Schaden hinzuzufügen. Es gelten EU-weit Ausfuhrbeschränkungen für strategisch wichtige Güter, besonders im Verkehrs- und Energiesektor.
Heute Sonntag haben Deutschland und westliche Partner den Ausschluss gewisser russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift beschlossen. Mit dem Ausschluss werden internationale Transaktionen der betroffenen Banken praktisch verunmöglicht.
Schweizerische Reaktion:
Der Bundesrat verurteilt den Angriff Russlands auf die Ukraine aufs Schärfste. Die EU-Sanktionen will er jedoch nicht komplett übernehmen, sondern nur verhindern, dass diese via die Schweiz umgangen werden können.
Die EU-Kommission liess am Freitag verlauten, dass sie von allen europäischen Staaten erwarte, die Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Kommissionssprecher Peter Stano: “Es betrifft Europa im Ganzen, und nicht nur die Europäische Union. Die Schweiz ist Teil von Europa.”
Am Samstag gingen schweizweit Zehntausende Personen auf die Strasse und protestierten gegen Putin, aber auch das Verhalten des Bundesrates. Bern erlebte am Samstag die grösste Friedensdemonstration seit 2003, als 40`000 Personen gegen die US-Invasion im Irak protestierten.
Internationale Reaktion:
Der UNO-Sicherheitsrat hatte in der Nacht auf Samstag eine gegen den Einmarsch Russlands gerichtete Resolution verabschiedet, die Russland klar als Aggressor des Krieges definierte. Diese scheiterte jedoch am Veto Russlands. Staaten wie China und Indien enthielten sich zwar, verurteilen die Handlungen Russlands aber öffentlich. Chinas UNO-Botschafter Zhang Jun: “«Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, den wir nicht sehen wollen. Wir glauben, dass die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten respektiert und die Ziele und Prinzipien der UNO-Charta allesamt gewahrt werden sollten.» Man unterstütze Verhandlungen Russlands und der Ukraine bei der Lösung des Konflikts.
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stellt sich nach vorläufigen Schätzungen auf bis zu vier Millionen Flüchtende aus der Ukraine ein.
Was jetzt passiert:
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski rief in den letzten Tagen die Bevölkerung auf, sich an der Verteidigung des Landes zu beteiligen, in Kiew wurden Ausgabeposten für Waffen eingerichtet und die Menschen aufgefordert, Molotowcocktails herzustellen. Es steht wohl eine blutige Schlacht um Kiew bevor.
In einem Gespräch mit Radio SRF beschreibt der Experte der Militärakademie der ETH Zürich, Mauro Mantovani, wie sich der Krieg entwickelt. Es sei “kein Durchmarsch, wie ihn sich die Russen offenbar erhofft hatten.” Auf lange Sicht dürfe man auch nicht unterschätzen, dass die “Kampfmoral der Ukrainer offensichtlich sehr hoch ist.”
Russland zeigt sich bereit für Verhandlungen, eine Delegation sei dazu nach Belarus gereist. Auch der ukrainische Präsident Selenski zeigt sich Verhandlungen gegenüber offen, allerdings lehnt er Gespräche in Belarus ab. Das Land beteilige sich an Kampfhandlungen gegen die Ukraine. Er sei offen für alle Orte, von denen “keine Raketen auf die Ukraine geschossen werden”.
Nach Schweizer Medienberichten habe Wolodimir Selenski den Schweizer Bundespräsidenten Ignazio Cassis bei einem Telefongespräch am Samstag um die Organisation einer Friedenskonferenz gebeten. Unmittelbares Ziel eines solchen Treffens wäre zumindest ein Waffenstillstand in der Ukraine.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wollte die Berichte am Samstagabend nicht bestätigen.
Auch Israel soll als Durchführungsort für Verhandlungen angefragt worden sein. Israel sei der einzige demokratische Staat, der ausgezeichnete Beziehungen zu beiden Ländern unterhalte.
Der israelische Regierungschef Naftali Bennett habe am Sonntagnachmittag mit dem russische Präsidenten telefoniert. Putin bestehe weiterhin auf das Treffen in Belarus.
In der Zwischenzeit schlägt Wladimir Putin auch innenpolitisch Kritik entgegen. In St. Petersburg und Moskau gingen einige Menschen auf die Strasse. Proteste in Russland sind allerdings extrem riskant, das haben bereits die Demonstrationen gegen die Verhaftung von Alexej Nawalny vor gut einem Jahr gezeigt. Obwohl Demonstrationen und offener Protest in Russland praktisch nicht möglich sind, wird die Unterstützung der russischen Bevölkerung wohl nicht übermässig sein. Für viele gilt die Ukraine als “Bruderstaat”, viele Familien haben Verwandte in der Ukraine.
Heute Sonntag habe die Ukraine eigenen Angaben zufolge Klage gegen Russland vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht. Selenski via Twitter: “Wir fordern eine dringende Entscheidung, die Russland auffordert, die militärischen Aktivitäten jetzt einstellen, und erwarten, dass die Gerichtsverfahren nächste Woche beginnen.”
Die britische Aussenministerin warnte Putin zudem: “Er soll sich darüber bewusst sein, dass der internationale Strafgerichtshof bereits darauf schaut, was sich in der Ukraine abspielt.”
Credit Suisse im Zentrum der investigativen Recherche “Suisse Secrets”.
Über Jahre hat die Bank Credit Suisse auch Kriminelle, umstrittene Staatschefs und korrupte Beamte als Kunden geführt. Das geht aus einem Datenleck über Konten von mehr als 30’000 Kunden aus aller Welt hervor, das NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung zusammen mit dem Netzwerk OCCRP und internationalen Journalist:innen ausgewertet haben.
Hintergrund:
Die Recherchen bringen die dunkle Vergangenheit der Credit Suisse ans Licht. Eine Vergangenheit, deren Folgen das Geldhaus nun, Jahre später, hart treffen könnte. Von den 1940er-Jahren bis weit in das vergangene Jahrzehnt bot die Grossbank auch Kriminellen, korrupten Politikern und umstrittenen Geheimdienstchefs einen sicheren Hafen für ihre Vermögen - allen öffentlichen Bekundungen einer "Weissgeldstrategie" zum Trotz.
Banken dürfen nach Schweizer Recht keine Gelder, die aus kriminellen Geschäften stammen könnten, annehmen und müssen diesbezügliche Risiken abschätzen. Zudem müssen sie melden, wenn sich bei Kunden den Verdacht ergibt, dass ihr Vermögen aus Straftaten stammen könnte.
Die “Suisse Secrets” legen den Verdacht nahe, dass sich die Credit Suisse jahrelang nicht immer an diese Vorgehen gehalten hat. Tatsächlich tauchen in den Unterlagen, die der SZ zugespielt wurden, umstrittene Staatschefs und ihre Familien auf.
Was jetzt passiert:
Die Credit Suisse äusserte sich auf Anfrage nicht zu Einzelfällen. In einer schriftlichen Stellungnahme weist sie die Vorwürfe von sich: "Diese Fälle basieren auf unvollständigen, zusammenhangslosen Informationen. Das führt zu einseitigen Erklärungen des Geschäftsverhaltens der Bank." Die Fälle seien meist historisch und die Bank habe auf Missstände gemäss den damals geltenden Richtlinien reagiert. Zudem würde man sich grundsätzlich an alle geltenden Gesetze halten.
Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma teilte mit, sie habe Kenntnis von den “Suisse-Secrets”-Artikeln und sei in diesem Kontext mit der Bank in Kontakt.
Ausserdem interessant:
Weniger die Informationen über die Credit Suisse, mehr die fehlende Beteiligung von Schweizer Medien an der Recherche sorgte hierzulande für Diskussionen. Artikel 47 im Bankengesetz verhinderte diesen juristisch die Teilnahme an der Recherche. Artikel 47 verbietet geheime Bankdaten auszuwerten, selbst wenn sie von öffentlichem Interesse sind.
Reporter ohne Grenzen twitterte dazu: “Artikel 47 des Schweizer Bankengesetzes ist eine untragbare Bedrohung für die Informationsfreiheit.” Die Schweizer Regierung und das Parlament könnten nicht untätig bleiben, das Gesetz müsse korrigiert werden.
Die SP kündigte an, in der am Montag beginnenden Frühjahrssession einen entsprechenden Vorstoss einzureichen.
© rethink-blog 2022