Nachrichten, die gerade untergehen, Teil 2
Kurz bevor möglicherweise ein Bürgerkrieg oder zumindest eine Schlammschlacht in den USA ausbricht, bevor wir dich wieder mit Abstimmungsinformationen für den Schweizer Initiativ-Dschungel eindecken, und bevor wirklich jeder doofe Einkaufsladen seine Weihnachtsdekoration aus dem Keller geholt hat, bringen wir Nachrichten, die in letzter Zeit nicht ihre verdiente Aufmerksamkeit erhalten haben:
Regenbogen, soweit das Auge reicht
Papst Franziskus hat sich in einer Dokumentation für homosexuelle Menschen und ihre Rechte ausgesprochen. Wie das Portal katholisch.de Ende Oktober publizierte, sprach sich der oberste Katholik im Film “Francesco” dafür aus, dass Homosexuelle Menschen ein Recht darauf hätten, Teil der Familie zu sein.
”Sie sind Kinder Gottes und haben das Recht auf eine Familie. Niemand sollte wegen so etwas ausgeschlossen oder unglücklich werden”, so Franziskus weiter.
Gemäss katholisch.de spricht sich mit Franziskus zum ersten Mal ein Papst für eingetragene Lebenspartnerschaften aus.
Und es geht gleich weiter, mit einem alten weissen Mann, der zu viel Macht hat:
Im ersten TV-Duell um die Präsidentschaftswahl in den USA fragte Joe Biden seinen Konkurrenten, ob er sich von rassistischen Gruppierungen distanziere. Trump antwortete: “Proud Boys - haltet euch zurück und haltet euch bereit.”
Die “Proud Boys” - auf Deutsch “stolze Jungs” - sind eine ultrarechte, rein männliche Gang in den USA.
Wie gaytimes.co.uk berichtet, rief Star Trek Darsteller und Aktivist George Takei auf Twitter dazu auf, den Hashtag #ProudBoys mit queeren Liebesbekundungen zu fluten. Und ein weiteres Mal hat die LGBTQ+ Twitter-Community gezeigt, wer die Hosen an hat.
2. Chile erhält neue Verfassung. Mit einer deutlichen Mehrheit
Bereits im April hätte das chilenische Stimmvolk über ein Verfassungsreferendum abstimmen sollen. Aus Gründen wurde diese wie vieles anderes abgesagt. Nun erhielt das südamerikanische Land am 25. Oktober die Chance, zu entscheiden ob die alte Verfassung beibehalten werden soll, oder eine komplett Neue zu entwerfen.
Wie chilenews.net kurz nach der Wahl bekannt gab, wurde das Referendum mit einem Ja-Anteil von circa 80% angenommen.
Damit wurde Bahn frei gemacht, für eine dringend nötige Revision. Die alte Verfassung stammte noch aus Zeiten der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet, wie tagesschau.de schreibt. Sie wurde 1980 hinter geschlossene Türen von seinen neoliberalen Wirtschaftsweisen, den sogenannten Chicago Boys, ausgearbeitet - und bestand auch 30 Jahre nach Rückkehr zur Demokratie fort.
Im April 2021 soll ein Gremium - das wie am Wahlsonntag ebenfalls entschieden wurde, jeweils zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt wird - gewählt werden, das sich um die Ausarbeitung der neuen, sozialeren Verfassung kümmert. Der erarbeitete Entwurf soll dann im Jahr 2022 zur Abstimmung vors Volk kommen.
Das Verfassungsreferendum war eine zentrale Forderung der sozialen Proteste, die im Oktober 2019 begonnen haben.
Da soll noch einer sagen, auf die Strasse zu gehen, bringe nichts.
3. Ökologisch leben und trotzdem profitieren
Wie ndr.de berichtet, hat die Kleinstadt Lathi nördlich von Helsinki ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2025 soll die Stadt mit ihren 120 000 Bewohnerinnen klimaneutral sein. Dabei soll die Klima-App “CitiCap” helfen. Seit Mitte 2019 sind bereits 600 Testnutzer mit der App unterwegs.
”Die App erkennt und speichert, wie die Userinnen sich fortbewegen – zum Beispiel per Fahrrad, Bus oder Auto – und sie errechnet, wie viel schädliches CO2 sie täglich produzieren.”
Pro Woche stehen pro Benutzer 17 Kilogramm CO2 zur Verfügung. Dieser Wert wird jedoch noch an die Lebensumstände angepasst: Sind Kinder im Haushalt, die zur Schule gebracht werden müssen? Wohnt man im Zentrum oder einem Vorort?
Ein Bewohner von Lathi berichtet dem NDR: "Wenn ich am Ende der Woche unter diesem Limit bleibe, dann bekomme ich Punkte in einer Art virtueller Währung gutgeschrieben. Alle vier Wochen kann ich das dann einlösen für Bustickets, eine Tasche oder eine Fahrradreparatur."
Eine solche App mag wie eine kleine Spielerei wirken, gehört aber zu einem effektiven Gesamtkonzept. Schon 2010, als die Klimakrise primär ein Thema unter Wissenschaftlerinnen oder Umweltaktivisten war, beschloss die Stadt, ihren Pro-Kopf-CO2-Ausstoss bis 2025 zu halbieren - und hat dieses Ziel längst erreicht.
4. Neuseeland: vielfältige Natur, noch vielfältigere Politik
Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern wurde bereits etliche Male für ihr Krisenmanagment bewundert. Als im März 2019 ein Rechtsterrorist bei einem Anschlag auf zwei Moscheen insgesamt 51 Menschen tötete, gingen Bilder um die Welt, wie Ardern mit Kopftuch zusammen mit den Trauerfamilien trauerte.
Und im Frühling dieses Jahr schaute die ganze Welt erneut nach Neuseeland, als der Inselstaat scheinbar mühelos die Corona-Pandemie in den Griff kriegte. Bei rund 5 Millionen Einwohnerinnen verzeichnete Neuseeland nur 25 Corona-Tote.
Und doch wurde Kritik laut, dass Jacinda Ardern mehr Marketing als Politik betreibe und ihr dies das Stimmvolk bei den Parlamentswahlen im Oktober 2020 zurückzahlen könnte.
Doch das war nichts, am 17. Oktober erreichte Ardern mit ihrer Labour-Partei die absolute Mehrheit und könnte somit das Land alleine regieren.
Diese Woche stellte die Premierministerin ihr neues Kabinett vor. Und das ist divers:
In der zwanzig-köpfigen Regierung sind acht Frauen (im Parlament sind 48% der Abgeordneten weiblich), fünf Maori, drei weitere mit Wurzeln in den pazifischen Inseln und drei Mitglieder zählen zur LGBTQ+-Community.
Wohl am meisten Medien-Präsenz hat bereits die am Freitag vereidigte Aussenministerin erhalten: „Es ist ein Symbol, wer ich bin, meiner Identität und wohin ich gehöre.“ Das sagt die Politikerin Nanaia Mahuta über ihr moko kauae, wie die traditionelle Tätowierung von Maorifrauen auf dem Kinn in der Sprache von Neuseelands indigener Bevölkerung genannt wird, gegenüber taz.de .
5. In Alaska wurde der Fette bereits gewählt
Wie bereits in der letzten Ausgabe, enden wir heute mit einer Tiernachricht. Daran können wir uns gewöhnen, zum Einen weil Tiere toll sind, zum Anderen weil uns beim eigenen Ende auch nur noch die Regenwürmer Gesellschaft leisten.
Heute geht es aber um die “Fat Bear Week Championship”, die der Katmai Nationalpark in Alaska alljährlich durchführt. Und im Oktober wurde freudig bekanntgegeben, dass Braunbär “747 - Jumbo Jet” das Rennen machte. Wie die washingtonpost.com berichtet, hat sich 747 im Finale am 6. Oktober erfolgreich gegen die Nummer 32, oder auch “Chunk”, durchgesetzt.
Um was es genau ging? Ganz einfach: Der Nationalpark veröffentlicht jeweils zwei Bilder eines Bären. Eines zeigt ihn im Sommer, das andere im Herbst, vollgefressen mit köstlichem Lachs und bereit für einen langen Winterschlaf.
Und die Bär-Fangemeinde kürt nun den Bären, der entweder am meisten zugelegt hat, am fettesten oder einfach am sympathischsten erscheint.
Beim diesjährigen Gewinner muss es an einem der letzten beiden Punkten gelegen haben, denn 747 hatte schon im Sommer ein beträchtliches Kampfgewicht:
Im Gespräch mit der Washington Post erzählte Naomi Boak, Medien Rangerin im Katmai Nationalpark, noch eine kleine Anekdote zu 747: “Ich denke, dass er dieses Jahr noch grösser ist, also sonst.” Sie habe ihn beobachtet, wie er einen Berg hinaufgehen wollte, dabei aber mit seinem dicken Bauch auf einem Stein hängen blieb und keine andere Chance mehr hatte, als wieder nach unten zu gehen und einen anderen Weg zu suchen.
PS: Diese Artikel-Reihe wurde inspiriert durch eine ähnliche Reihe von krautreporter.de
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