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Nein, der Konsument entscheidet nicht.

Ob unnötige Kurzstreckenflüge, Palmöl oder Erdbeeren im Februar. Der Endverbraucher könne ja selbst entscheiden, ob er diese Produkte und Dienstleistungen beziehen will. Eine Aussage, die wir mittlerweile immer häufiger zu hören bekommen.

Alle Jahre wieder, nachdem wir die Wintertage hinter uns gelassen haben, die Sonne die Tage wärmer werden lässt, tauchen sie auf. Und mit ihnen auch die endlose Diskussion, was sie hier machen. Erdbeeren. Mit dem Lastwagen aus Spanien hergefahren, im geheizten Folientunnel angebaut, geerntet von marokkanischen oder rumänischen Frauen unter erbärmlichen Bedingungen. Und jedes Jahr taucht die Frage auf, was Erdbeeren aus Spanien im Februar bei uns zu suchen haben, wenn wir ab Mai auch solche aus der Schweiz auf dem Teller haben können? Die beiden grössten Detailhändler erklären ihr Angebot alljährlich mit der Nachfrage der Konsumenten. Es gebe ein Kundensegment, dass auch im Frühjahr Erdbeeren konsumiere. Coop bestätigt in einem Bericht der Gratiszeitung 20Minuten, dass einige Kunden die Beeren aus Spanien als unangemessen betrachten, die Nachfrage nach Erdbeeren jedoch gestiegen sei.

Anderes Thema, gleiche Problematik: Flugreisen sind zu billig. War es zu Beginn des kommerziellen Luftverkehrs noch ein Lebenstraum einmal nach New York zu fliegen, dominieren Billigflugairlines mittlerweile den Himmel. Viele Menschen machen sich keine Gedanken mehr, ob ein zweitägiger Kurztrip nach Lissabon wirklich sinnvoll ist, wenn das Flugticket nur 50 Franken kostet. Eine Abgabe auf Flugtickets, die diese um 12 bis 50 Franken teurer machen würde, wurde vom Nationalrat abgelehnt. Begründung: Könnte der Wirtschaft schaden, und die Bevölkerung kann ja selber entscheiden, ob sie mitfliegen will oder nicht.

So einfach ist dieses “Entscheiden” gar nicht

Das Problem ist, dass der Kunde nicht entscheiden kann. Respektive vielleicht würde er gerne, aber er hat die Rechnung nicht mit seinem Unterbewusstsein gemacht. Und der Werbung. In der Schweiz wurden im Jahr 2017 3.5 Milliarden für Werbemittel ausgegeben. Knapp vier Milliarden, die nur dazu da sind, damit wir Dinge kaufen. Der Mensch tätigt nur rund 20 Prozent seiner Käufe bewusst. 80 Prozent unserer Kaufentscheidungen werden unbewusst gefällt. Dabei sprechen die Firmen gezielt unsere Bedürfnisse an. Egal ob das der Wunsch auf ein leckeres Mittagessen, Sicherheit oder aber auch auf einen besseren Status ist. Wenn wir für ein Wochenende nach London fliegen, packen wir mittlerweile unsere Insta-Stories voll mit Bildern und Selfies, bekommen dafür Kommentare wie toll es ist, dass das Gegenüber neidisch auf dieses sicher tolle Wochenende ist.

Da bringt es rein nichts, wenn die Politik und Wirtschaft sagt, der Kunde solle halt nicht mehr unnötige Kurzstrecken fliegen. Das fällt uns zu schwer, diese Entscheidung kann der einzelne Konsument nicht tragen! Der gleichen Meinung ist Michael Kopatz, er ist Projektleiter für Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut und schrieb für “DIE ZEIT” einen Gastbeitrag mit dem Titel “Erlöst endlich die Konsumenten!”. Er schreibt, man müsse Strukturen ändern, nicht die Menschen. Dass dies möglich ist, zeigt die Vergangenheit: Oder wurde die Sklaverei auf freiwilliger Basis abgeschafft? Hörten die Raucher freiwillig aus Rücksicht auf Kinder und Nichtraucher auf, in geschlossenen Räumen und Restaurants zu rauchen? Nein. Es wurden Richtlinien und Gesetze geschaffen, die vielleicht auf den ersten Blick für den Einzelnen krass und unverhältnismässig erschienen. Letzlich jedoch unserer Gesellschaft mehr nützten als schadeten.

Na gut, aber so einfach ist das ja nicht mit neuen Richtlinien, oder? Das Konzept hat sich aber bereits erprobt. Im Jahr 2003 wurde der Auslauf für Legehühner in der Europäischen Union verdoppelt, und das unbemerkt und ohne Proteste. Kopatz schreibt, die Landwirtschaft habe mit steigenden Standards kein Problem, solange sie für alle Mitbewerber gelten würden. Letztes Jahr erklärte Philipp Skorning, Chefeinkäufer des deutschen Discounters Aldi Süd, er würde höhere Standards begrüssen – am besten EU-weit.

Allein auf weiter Flur ist niemand

Solche neue Limiten und Standards kommen nicht alleine, vor allem nicht aus der Politik, die immer noch zu stark mit der Wirtschaft verbändelt ist. Und von allen Mitmenschen erwarten, keine Erdbeeren im Februar zu kaufen, funktioniert meistens auch nur bis zur ersten 50% Aktion im Supermarkt. Hingegen zusammen zu stehen und bessere Gesetze fordern, das erreicht die Politik und damit auch uns Konsumenten. Brauchte es 1861 in den USA noch einen Bürgerkrieg, um die Sklaverei erfolgreich zu verbieten, erreichen wir heute dasselbe mit Demonstrationen. Wir verschaffen uns zusammen eine viel grössere und wichtigere Stimme, als wenn wir stillschweigend an den Plakaten von Flügen für 12 Franken vorbeigehen.

Ein Umdenken hat durch die Klimaproteste bereits stattgefunden: Der Geschäftsführer des Branchenverbands der Schweizer Reiseveranstalter, Walter Kunz, schätzt, dass die Umsätze dem Vorjahr zwischen 7 und 10 Prozent ­hinterherhinken. «Wenn es nur ein Buchungsstau wäre, würde mir das keine Sorgen bereiten. Das gibt es immer wieder mal. Die Branche rätselt aber drüber, ob nebst dem warmen letzten Sommer auch die Klimadebatte eine Rolle spielt», sagt Kunz. Selbst er als Profi habe kürzlich auf einem Wochenend-Kurztrip nach Spanien ein anderes Gefühl gehabt als sonst. «Die aktuellen Diskussionen lassen einen nicht unberührt, und wir müssen im Reisebüro Antworten darauf finden.»


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