Wenn dir dein Zuhause fremd wird.
Wir werden als Kind in eine Welt geboren, die uns fremd ist. Wir treten in eine Familie ein, von der wir im besten Fall bereits die Stimmen gehört haben, jedoch nicht verstehen, was und wie gesprochen wird. Wir als Neugeborene, hilflos und ratlos zugleich, müssen uns mit einer Lebenssituation arrangieren, bei deren Wahl wir kein Mitspracherecht hatten. Wir werden erzogen, angezogen und unterstützt, wie es unsere Eltern für gut empfinden. Und das ist eigentlich auch gut so.
Denn wir konnten in all den Jahren, in denen man uns in einem Kinderwagen spazieren führte, keine eigenen Entscheidungen treffen, uns selbst schützen oder uns selbstversorgen. Im Gegensatz zu vielen anderen Säugetieren sind wir abhängig. Wir passen uns an, gliedern uns in diese Gruppe aus Menschen ein, die sich Familie nennt.
Während wir älter werden, fangen wir an, alles zu hinterfragen. Zum warm werden fragen wir uns, wieso wir dem Typen mit dem Bart «Papa» sagen und der netten Dame «Mama». Je älter wir werden, desto komplizierter werden unsere Fragen. Wer ist Gott, was mache ich in dieser Familie? Wer bin ich überhaupt? Wie will ich leben?
Mittlerweile haben wir ein Alter erreicht, wo wir das Gefühl haben, auf eigenen Beinen stehen zu können. Wir werden rebellisch. Statt Babygeschrei dominieren nun Türknallen und Wutanfälle unter der Bettdecke die Familienakustik. Wir hassen unsere Eltern im einen Moment, müssen im Anderen jedoch einsehen, dass das Abendessen nur dank ihnen auf dem Tisch steht. Willkommen in der Pubertät.
Während dieser nervenaufreibenden Zeit beginnen wir, uns zu verändern. Vom bisherigen Mädchen/Jungs Bild bewegen wir uns weg, wir erkennen, wer wir wirklich sind. Vielleicht muss die Familie nun akzeptieren, dass ihr Kind sich wie ein Linus fühlt und nicht wie eine Alina. Dass ihre einzige Tochter keinen Freund nach Hause bringen wird. Dass ihr ältester Sohn nicht die Familienfirma übernehmen will.
Diese Zeit wird oft für die Eltern als eine der schwierigsten Momente im Elternsein gewertet.
Wie es jedoch den Jugendlichen in genau diesen Situationen ergeht, ist schwierig in Worten zu fassen. Ein Ausbrechen aus den bis jetzt gelebten Mustern fällt vielen schwer.
Es ist zwar eine Reise in neue Freiheiten, aber auch in Ungewissheiten. Während wir vor 15, 17, 20 oder wie vielen Jahren auch immer, praktischerweise in diese Welt gepresst wurden, müssen wir uns nun selbst aus dieser hinauskämpfen. Wie ein Küken zertrümmern wir die Eischale, die rund um uns herum gelegt wurde. Wenn wir Glück haben, eilt Hilfe herbei, ein Geschwister, das von aussen die Risse vergrössert. Wenn wir Pech haben, legt ein Elternteil mit jedem Stoss gegen die Schale eine weitere Hülle, die es uns noch schwerer macht, auszubrechen und uns selbst zu sein.
Es ist eine Zeit, in der wir miteinander reden sollten. Es ist aber auch eine Zeit, in der uns reden so schwerfallen kann, wie es anderen Menschen schwerfällt, einen Fallschirmsprung zu wagen.
Auf dem Weg dorthin rast das Herz im Brustkorb, das Hirn stellt sich vor, was das für ein gutes Gefühl sein muss, wenn man aus dem Flieger springt und unten sicher landet. Aber die Vernunft ruft uns ins Gewissen, dass wir auch wie Kuhfladen am Boden aufklatschen könnten.
Es ist eine Zeit, die Familien neu verbinden kann und gleichzeitig eine, die Familien für immer trennen kann. Warum wir nicht einfach akzeptiert werden können, fragen wir uns. Wieso gerade wir dieses Kind sein müssen, das die Erwartungen nicht erfüllt. Wir sehen die Eltern aus unserem Kollegenkreis, und fragen uns am Abend im Bett, warum nur gerade wir dieses Pech hatten.
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