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Weekly, KW52

Guten Abend im Jahr 2022. Guten Abend aus der rethink-Redaktion.

Wir starten mit leichter Kost ins neue Jahr - zumindest Nachrichtentechnisch...  

In den letzten 7 Tagen hat sich das Jahr 2021 relativ ruhig verhalten, und doch haben wir die eine oder andere lesenswerte Nachricht entdeckt:


EU will Atom- und Gaskraft als “grüne Energiequelle” einstufen.

Das hat die EU-Kommission in einem Vorentwurf, der in der Nacht auf den 01. Januar an die 27 EU-Mitgliedstaaten verschickt wurde festgehalten. Geht es nach der Brüsseler-Behörde, sollen Atomkraft und Gaskraft in die sogenannte EU-Taxonomie aufgenommen werden und somit als grüne Energiequellen gelten. 

Worum es genau geht:

Die Europäische Union will damit Investitionen in diese Anlagen als grün einstufen. Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission soll Anlegern ermöglichen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien umzustellen und so zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen.

Wie aus einem Text hervorgeht, der der Deutschen-Presse Agentur (dpa) am Wochenende vorlag, sollen Investitionen in neue Atom-Kraftwerke dann als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neusten technischen Standards entsprechen. Zusätzlich muss ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens ab 2050 vorgelegt werden. Ausserdem ist als eine weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten

Übergangsweise sollen auch Investitionen in neue Gaskraftwerke als grün eingestuft werden. Dabei sei der Ausstoss von Treibhausgasen relevant. 

Warum das wichtig ist:

Im Zuge der Energiewende und dem Abwenden von Kohlestrom wird immer wieder der Atomaustritt angezweifelt. 

Für viele Länder wie Frankreich und Finnland gilt Atomenergie als Zukunftsträger. Und Deutschland nannte vor kurzem (unter der Merkel-Regierung) Gaskraft noch als „Übergangslösung“. 

Dabei gilt Atomkraft als Technologie der Vergangenheit, die Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt sind eindeutig dokumentiert. Unabhängig davon gestaltet sich in ganz Europa die Suche nach einem Endlager für radioaktivem Abfall als schwierig. Wohl als erstes Land wird Finnland 2025 sein atomares Endlager unter der Halbinsel Olkiluoto in Betrieb nehmen. 

Und auch die Gaskraft steht immer wieder in Kritik. Vorallem das Verbrennen von fossilem Erdgas ist alles andere als grün und umweltschonend. Hinzu kommt, dass die EU ein Grossteil des Gases von Russland bezieht, was in der derzeitigen politischen Lage für Spannungen sorgt. 

Was jetzt passiert:

Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis am 12. Januar Zeit, den Entwurf zu kommentieren. Hauptsächlich aus Deutschland und Österreich kommt scharfe Kritik. Die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler kritisierte zum Einen den Zeitpunkt der Veröffentlichung und nannte sie eine “Nacht- und Nebelaktion. Die Grünen-Politikerin drohte mit einer Klage, sollten die beiden Energiequelllen in die sogenannte Taxonomie der EU aufgenommen werden. “Für Österreich ist aber ganz klar: Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren.” 

Schließlich seien diese Energiequellen "klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder".

Und auch Deutschland und dessen neuer Bundesklimaschutzminister Robert Habeck sprechen sich gegen den Entwurf aus: “Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht”. 

Nicht nur von Regierungen, auch von Umweltschutzorganisationen wie dem WWF kommt Kritik: “Augen zu und durch, das scheint das Motto der EU-Kommission bei Atomkraft und Erdgas zu sein”, kommentiert Matthias Kopp, vom WWF Deutschland die Entscheidung. 

Nach monatelangen Verzögerungen habe die Kommission den Expertengruppen der Mitgliedsstaaten nur acht Arbeitstage Zeit gegeben, um auf den entsprechenden Entwurf einzugehen. Wissenschaftler, Bürger und Finanzinstitutionen seien von der "Mini-Konsultation" ausgeschlossen gewesen, kritisierte der WWF-Experte. Die EU-Kommission wisse, dass sie "den wissenschaftsbasierten Weg verlässt".

Der jetzige Plan kann nur verhindert werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschliessen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament. Dies gilt als unwahrscheinlich, da sich neben Deutschland lediglich Länder wie Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft aussprechen. 

Russland löst Menschenrechtsorganisation “Memorial” auf.

Das oberste Gericht in Moskau hat am Dienstag entschieden, dass die bekannteste russische Menschenrechtsorganisation Memorial nicht mehr weiter arbeiten darf. Das Gericht gab der Nachrichtenagentur Interfax zufolge einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen “Verstosses gegen russische Gesetze” statt.

Warum das wichtig ist:

Memorial dokumentiert seit mehr als 30 Jahren Verbrechen während der Sowjetzeit und setzt sich für politische Gefangene wie etwa Alexei Nawalny ein. 

Das Urteil gegen die Organisation ist ein weiterer Schlag gegen die russische Opposition. Die Strategie der russischen Regierung ist seit längerem, ausländische Feindbilder zu kultivieren und Verbrechen einheimischer Machthaber zu verheimlichen. Wie andere Organisationen, die mit Geldern aus dem Ausland unterstützt werden, gilt Memorial als “ausländischer Agent”. Diese Bezeichnung hätte die Organisation auf allen Dokumenten ausweisen müssen, was sie in einigen Fällen versäumte – und das wurde ihr nun zum Verhängnis.

Memorial sprach von einer “politischen Entscheidung” ohne Rechtsgrundlage. Ziel sei die “Zerstörung einer Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Repression und mit dem Schutz der Menschenrechte befasst”. Menschenrechtsaktivisten beklagen zunehmend autoritäre Tendenzen und die Verfolgung Andersdenkender in Russland.

Was jetzt passiert:

Memorial will das Urteil anfechten und eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen. Russische Oppositionelle sehen im Urteil “einen entscheidenden Schritt” auf dem Weg von einem autoritären zu einem totalitären Regime.

Und damit verabschieden wir uns aus der Kalenderwoche 52. 

Wir lesen uns in einer Woche wieder, same Place, same time.


Headerbild von Milad Fakurian via Unsplash
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