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Weekly, KW48

🕐: ca. 8 Min.

Guten Abend aus der rethink-Redaktion. 

Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Lage im Iran, dem Stand der Demokratie weltweit, der Bundesratswahl am Mittwoch und im Fokus heute: Proteste in China.

Corona-Politik führt zu grossen Protesten in China.

Am vergangenen Wochenende kam es in vielen chinesischen Städten zu Protesten gegen die strikte “Null-Covid-Politik” des Landes. Hunderte Menschen gingen unter anderem in Peking und Shanghai auf die Strasse. In Shanghai riefen Menschen “Keine Corona-Tests mehr, sondern Freiheit”. Vielerorts hielten die Demonstrierenden leere weisse Blätter hoch - Weiss ist in China die Farbe der Trauer, und das leere Blatt steht für fehlende Meinungsäusserungsfreiheit. 

Bei den einzelnen Demonstrationen versammelten sich zwar jeweils nur ein paar hundert Menschen, in Summe sind die Proteste in verschiedenen Städten gleichzeitig, aber die grössten seit Jahrzehnten.

Hintergrund:
Auslöser der neuen Proteste war ein Wohnhausbrand in Urumqi, der Hauptstadt des nordwestchinesischen Landesteils Xinjiang, bei dem letzte Woche nach offiziellen Angaben zehn Menschen ums Leben gekommen sind. Dies löste Proteste in Urumqi selbst und grosse Empörung im chinesischen Internet aus. Etliche Anwohner:innen kritisierten in sozialen Medien, dass die rigiden Corona-Massnahmen den Kampf gegen das Feuer erschwert hätten. Bewohner:innen sei die Flucht ins Freie durch abgeschlossene Wohnungstüren erschwert worden. In Urumqi war zuvor einer der längsten Lockdowns Chinas verhängt worden. Viele der vier Millionen Einwohner:innen dürfen nun wegen den steigenden Corona-Fallzahlen ihre Wohnungen bis zu 100 Tage nicht verlassen. Die Regierung bekämpft seit Ausbruch die Pandemie mit grossflächigen Lockdowns, Zwangsquarantänen und Reiseeinschränkungen. Für den Einkauf im Supermarkt oder Benützung des öffentlichen Verkehrs war konsequent ein negativer Covid-Test nötig. 

Was jetzt passiert:
Entgegen der Erwartungen der westlichen Beobachter:innen lenkte Chinas Regierung gestern Samstag ein und lockerte Corona-Massnahmen. So ist etwa in der Hauptstadt Peking kein negativer Test mehr für den Supermarkt notwendig und ab Montag darf auch die U-Bahn ohne einen solchen Nachweis genutzt werden. Lockerungen forderte bereits am Freitag die Weltgesundheitsorganisation WHO: Es sei wichtig, dass die Regierungen im jeweiligen Kampf gegen die Corona-Pandemie auf das Volk hörten, sagte der WHO-Experte Mike Ryan an einer Pressekonferenz in Genf.

Offenbar wird iranische Sittenpolizei aufgelöst.

Das berichteten mehrere iranische Medien unter Berufung auf den iranischen Generalstaatsanwalt. Dessen Angaben zufolge soll die Führung des Landes dem Druck seit September anhaltenden Proteste zumindest zum Teil nachgegeben haben. Sowohl die im Iran veröffentlichte Tageszeitung “Shargh” als auch die iranische Nachrichtenagentur Isan berichteten unter Berufung auf Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri, dass die sogenannte Sittenpolizei aufgelöst worden sei. “Die Sittenpolizei hat nichts mit der Justiz zu tun und wurde von denjenigen, die sie in der Vergangenheit eingerichtet haben, geschlossen”, sagte Montaseri. Von anderer Seite wurde die Auflösung bisher nicht bestätigt. Auch Montaseri nannte keine weiteren Details, etwa wie die mutmassliche Auflösung umgesetzt werden soll. 

Hintergrund:
Mitglieder der Sittenpolizei sind im Iran vor allem dafür zuständig, die strengen islamischen Kleidervorschriften durchzusetzen. Seit etwa 40 Jahren sind Frauen diesen Vorgaben zufolge dazu verpflichtet, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Zudem sollen sie durch weite Kleidung die Konturen ihrer Körper verhüllen. Seit 2005 existiert im Iran die Sittenpolizei, um für die Einhaltung dieser Regeln zu sorgen. 

Der Tod der 22 Jahre alten Jina (Mahsa) Amini steht vermutlich im Zusammenhang mit dem Einsatz der Sittenpolizei: Sie hatte die junge Frau festgenommen, weil sie gegen die Kleidervorschriften verstossen haben soll. Amini starb, während sie sich in Gewahrsam befand. Die genauen Umstände ihres Todes sind nach wie vor ungeklärt. Ihr Tod ist der Auslöser für die seit September herrschenden Proteste und Demonstrationen im Iran. 

Menschenrechtler wie UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk gehen davon aus, dass die Zahl der Getöteten weit über den 300 offiziell kommunizierten liege. Zudem ist von 14’000 bis 18’000 Verhafteten die Rede.

Demokratie weltweit am schwächeln.

Die Demokratie befindet sich weltweit auf dem Rückzug. Zu diesem ernüchternden Schluss kommt eine globale Demokratieagentur in Stockholm. “International Idea”, eine weltweit tätige internationale Organisation, der auch die Schweiz seit 2005 als Mitglied angehört, kommt zum Schluss: Noch nie seit 1990 gab es so wenige und schwache Demokratien wie heute in der Welt. Umgekehrt werden die immer zahlreicheren autokratischen Staaten immer repressiver. Erstes Opfer ist dabei in vielen Teilen der Welt die Meinungsfreiheit. 

Von den über 170 untersuchten Staaten weltweit stuft International Idea derzeit über ein Drittel als Autokratien ein. Die demokratischen Formen des Zusammenlebens überwiegen noch. Allerdings seien diese in fast 50 Demokratien im letzten Jahr weiter geschwächt worden, heisst es im Jahresbericht zum Zustand der Demokratie in der Welt.

Aber es gibt auch einige Lichtblicke: So haben Staaten wie Gambia, Sri Lanka und Moldawien erfreuliche Schritte in Richtung mehr Demokratie getan. 

In Kenia und Brasilien haben sich Wahlbehörden bewährt, nachdem Verlierer unbegründet den Vorwurf von gestohlenen Wahlen erhoben hatten. 

Die Schweiz gehört für International Idea seit der Einführung des gleichen Stimmwahlrechts für Frauen und Männer vor einem guten halben Jahrhundert zu den entwickeltsten und stabilsten Demokratien überhaupt in der Welt.

Ausblick auf den Mittwoch: Das passiert in Bundesbern.

Am Mittwoch werden in Bern die Nachfolger:innen für die abtretenden Bundesrät:innen Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga gewählt. 

Bundesratswahlen finden traditionsgemäss jeweils am Mittwoch der zweiten Sessionswoche statt. Alle 246 National- und Ständeräte treffen sich gegen 8 Uhr im Nationalratssaal, um als vereinigte Bundesversammlung zu wählen. Zuerst werden die Abtretenden jedoch verabschiedet und Sommaruga und Maurer dürfen auch noch eine Rede halten. 

Gegen viertel vor neun geht’s dann ans Wählen. Die Wahl findet geheim statt, also wird am Schluss nicht bekannt, wer wen gewählt hat. Aufgeschrieben dürfen nicht nur die von den Parteien vorgeschlagenen Vier, sondern alle stimmberechtigten Personen der Schweiz. Das Parlament muss dabei allerdings darauf Rücksicht nehmen, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sind. Gewählt ist, wer das absolute Mehr der Stimmen erhält, also: eine Stimme mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen. Geschieht dies nicht beim ersten Wahlgang, geht es in den Zweiten. 

Es ist zu erwarten, dass wir bereits vor dem Mittagessen die Namen der neuen Bundesrät:innen kennen werden.

Ist ein Bundesratsmitglied neu gewählt, muss es vor der Vereinigten Bundesversammlung erklären, ob es die Wahl annimmt. Wahlweise kann dafür eine Eides- oder eine Gelübdeformel abgelegt werden.

Zwischen Wahl und Amtsantritt bleiben meist nur wenige Wochen. Sobald sie gewählt werden, sind sie Bundesrät:innen. Nach der Wahl gibt es bereits am Folgetag ein Treffen mit den neuen Bundesratsmitgliedern und Vertretern der Bundeskanzlei. Es muss nun alles schnell gehen. 

Die neuen Mitglieder der Landesregierung erhalten ein eigenes Büro, ihnen wird erklärt, wie die wöchentlichen Bundesratssitzungen ablaufen. Sie müssen sich schnellstmöglich in die teils komplexen Dossiers einarbeiten. Dabei wissen sie erst nach der Wahl bei ihrer ersten Bundesratssitzung, welches Departement sie erhalten. Bei der Departementsverteilung stehen die zwei Neuen übrigens hinten an. Bei der Verteilung kommt das sogenannte Anciennitätsprinzip zum Tragen: Wer schon am längsten Bundesrat ist, äusserst seinen Wunsch zuerst, die beiden Neulinge zuletzt. Können sich die sieben Bundesräte nicht einigen, kommt es zur Abstimmung. Jede Bundesrätin muss dabei das ihr zugewiesene Departement übernehmen.

Katar - aber nichts über die WM.

Woche drei in der Weltmeisterschaft des Männerfussballs in Katar. Wie erwartet berichten wir auch heute nicht darüber. 
Dafür empfehlen wir jede Woche einen Text über die Lage bezüglich Menschenrechte, Gleichstellung und Rechte von Minderheiten im Emirat.

Heute: Die Fifa behauptet, die WM würde “klimaneutral” ausgetragen. Der Republik-Text “Die Katar Morgana”, über eine bewusste Irreführung.

Das war’s von uns für diese Woche, vielen Dank für dein Vertrauen. Wir lesen uns nächsten Sonntag!


Redaktionsschluss: 17:45
Weekly 48/2022

Headerbild von Milad Fakurian via Unsplash

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