Weekly, KW05
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Heute mit Frankreich, das streikt. Der Schweiz, die ihre Essensgewohnheiten anpassen soll und einem Ballon über den USA.
Frankreich streikt.
In Frankreich haben die Gewerkschaften diese Woche erneut zu landesweiten Streiks aufgerufen. Am Dienstag und Mittwoch kam das öffentliche Leben teilweise zum Erliegen. In der ganzen Republik fielen Zugverbindungen, Busse und Flüge aus, in vielen Schulen gab es keinen Unterricht, Radiostationen sendeten keine Nachrichten und Energiekonzerne drosselten die Stromproduktion.
Grund für die Arbeitsniederlegungen in Frankreich ist die geplante Rentenreform, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahren vorsieht. Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist diese Reform eines der wichtigsten Vorhaben seiner zweiten und letzten Amtszeit. Macron hatte vor dem Streik diese Woche betont, dass die Reform nötig sei, um das Rentensystem zu retten. Die Rentenkasse weist derzeit zwar ein Plus auf, sie soll nach Schätzungen aber bis 2030 in ein Defizit von 14 Milliarden Euro rutschen.
Hintergrund:
Bereits 2019 versuchte Macron die Reform und erlebte gleich die längsten Streiks seit den Studentenprotesten 1968. Schliesslich ruderte die französische Regierung während der Pandemie zurück und verzichtete auf eine Reform.
2023 kommt sie wieder aufs politische Parkett und wird erneut stark bekämpft. Beim ersten Protesttag am 19. Januar waren mehr als eine Million Menschen auf die Strasse gegangen. Beim Streik am Dienstag waren laut der Gewerkschaft CGT 2.8 Millionen Personen in ganz Frankreich auf der Strasse, das Innenministerium sprach wiederum erneut von etwas mehr als einer Million Menschen.
Die Kraft der Gewerkschaften:
Im Gegensatz zur Schweiz, wo meist nur gestreikt wird, wenn alle anderen Verhandlungsoptionen ergebnislos waren, wird in Frankreich präventiv gestreikt, um Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen.
Im französischen Parlament dominiert in der Regel eine starke Regierungsmehrheit über eine Opposition, die nur wenig zu melden hat. Da sei eine politische Korrektur praktisch nur durch den Protest auf der Strasse möglich, kommentierte Daniel Voll, Frankreich-Korrespondent von Radio SRF am Dienstagabend.
Und der Organisationsgrad der Gewerkschaften sei gar nicht so herausragend, so Voll weiter. In der Schweiz seien rund 17 Prozent der Beschäftigten Mitglieder von Gewerkschaften, in Frankreich sind es rund 10 Prozent. Ihre Hochburgen sind der öffentliche Sektor: bei der Eisenbahn, beim Stromproduzenten EDF, in den Schulen oder im Gesundheitswesen. Und zusätzlich sind sich die Gewerkschaften in allen Bereichen so einig wie schon lange nicht mehr: Das Rentenalter dürfe nicht über 62 steigen, so ihre Forderung. Doch die Regierung bestand während gemeinsamen Gesprächen auf dem höheren Rentenalter von 64, trotz aller grundsätzlichen Einwände der Arbeitnehmervertretungen.
Was jetzt passiert:
Die politische Debatte über die Reform dürfte in Frankreich bis in den März dauern und damit wohl auch die Begleitung durch Streiks. Bis jetzt macht es keinen Anschein, dass den Gewerkschaften und dem Personal die Streikkraft ausgehen wird. Bereits sind für nächste Woche, am 7. und 8. Februar weitere Arbeitsniederlegungen bekannt gegeben worden. Dabei wollen unter anderem Lehrpersonen und das Lokpersonal der Staatsbahn SNCF streiken. Am Samstag folgt schliesslich erneut ein nationaler Grossstreik, der zu grösseren Behinderungen im öffentlichen Leben führen wird.
Ernährungssicherheit in der Schweiz.
Die Schweiz soll ihre Ernährung deutlich anpassen, um die Klimaziele der UNO und gleichzeitig die Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Das fordert ein wissenschaftliches Gremium in einem rund 70-seitigen Leitfaden, den es am Donnerstag dem zuständigen Bundesrat Guy Parmelin übergeben hat.
Hintergrund:
Vertreter:innen von zahlreichen Universitäten, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau haben konkrete Ziele und Massnahmen im Leitfaden für die Schweizer Landwirtschaft ausgearbeitet. Gemäss diesen sollten wir bis 2030 unsere Ernährung umstellen - und zwar nicht zu sanft. Den grössten Hebel orten die Expert:innen bei der Reduktion des Konsums von Fleisch, Eiern, Milch und Käse. Konkret etwa eine Halbierung des Milch- und Fleischkonsums (Konsum von Milch von heute 600 Gramm pro Person und Tag auf 350 Gramm, Fleisch von 100 auf 50 Gramm), dafür eine Erhöhung von Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten, Getreide und Gemüse. Das könnte etwa mit mehr pflanzlichen Angeboten in Kantinen und Take Away-Angeboten erreicht werden.
Um diese Anpassung auch politisch zu unterstützen, schlägt das Gremium zahlreiche Massnahmen vor. Bis 2025 etwa soll das Parlament einen âTransformationsfondsâ aufbauen. Dieser soll gespeist werden von Bund und Privaten und beispielsweise für Förderprogramme für Junglandwirt:innen eingesetzt werden. In einem späteren Schritt sollen dann auch Lenkungsabgaben und neue regulatorische Massnahmen eingeführt werden. So plädiert die Gruppe etwa dafür, die Zölle für den Import von tierischen Produkten, Futtermittel und Mineraldünger zu erhöhen und Aktionen für Billigfleisch zu verbieten. Später soll auch eine Co2-Abgabe auf Lebensmittel dazukommen.
Was jetzt passiert:
Zum jetzigen Zeitpunkt sind solche Vorschläge auf politischer Ebene kaum mehrheitsfähig. Zahlreiche parlamentarische Vorstösse, die in diese Richtung zielten, scheiterten in der Vergangenheit deutlich. Und Vorlagen wie die Massentierhaltungsinitiative aber auch Trinkwasser- und Pestizidinitiative wurden vom Volk in den letzten Jahren abgelehnt.
Auch wegen der Opposition seitens der Bäuerinnen und Bauern. Diese wehren sich auch gegen den am Donnerstag vorgestellten Vorschlag. Der Schweizerische Bauernverband (SBV) kritisiert, dass sich die Vorschläge fast ausschliesslich auf die Agrarpolitik und damit die Landwirtschaft konzentrieren würden. Der Verband bezweifelt ausserdem, dass die Menschen in der Schweiz bereit wären, ihren Fleischkonsum innert kürzester Zeit so massiv zu reduzieren.
Auch bei Bundesrat und Landwirtschaftsminister Guy Parmelin, der den Leitfaden von den Expert:innen überreicht bekam, ist eine gewisse Zurückhaltung zu spüren. Eine Kehrtwende beim Bund dürften die neuen Vorschläge wohl kaum zur Folge haben. Schliesslich hat der Bundesrat bereits im vergangenen Jahr mit seinem Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik festgelegt, wie er sich eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft vorstellt. Grösste Differenz zum nun vorgestellten Plan: Der Bundesrat sieht einen Zeithorizont bis 2050 für seine Vision der âErnährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Produktion bis zum Konsumâ. Also zwanzig Jahre länger als die Ernährungswissenschaftler:innen.
Immerhin in einem Punkt sind sich Wissenschaft und Bund einig: In der Pflicht stehen alle Akteure vom Landwirten, über die Händlerin, den Verarbeiter bis hin zum Detailhandel und zur Konsumentin.
Das Thema Landwirtschaftspolitik wird in der Frühjahrssession aktuell. Dann wird die Agrarpolitik 22+ debattiert. Die vorberatenden Kommissionen haben bei der Vorlage die klimapolitischen Ziele herausgenommen. Diese sollen also zurzeit nicht Teil der schweizerischen Landwirtschaftspolitik sein.
Weitere Nachrichten der Woche in Kurzform.
Suisse Leaks:
Im Februar 2022 hatten mehrere internationale Medien über mutmassliche Versäumnisse der Credit Suisse bei der Überprüfung ihrer Kunden berichtet. Die Bank soll über viele Jahre hinweg korrupte Politiker:innen, Autokraten, mutmassliche Kriegsverbrecher sowie Menschenhändler, Drogendealer und andere Kriminelle als Kunden akzeptiert haben.
Nun ermittelt die Bundesanwaltschaft zu diesem Leak. Nicht etwa gegen die Kontoinhaber:innen oder die Credit-Suisse, sondern gegen den unbekannten Whistleblower, der die Daten zu 18â000 Bankkunde an die Medien gab.
Übrigens beteiligten sich bei der Recherche damals keine Schweizer Medien, da das Bankengesetz die Verbreitung von Bankdaten eben strafbar macht
US-Aussenminister zu Besuch in Israel und Palästina:
Antony Blinken besuchte Anfangs Woche Israel und die palästinensischen Gebiete. Wegen der eskalierenden Gewalt in den letzten Tagen in Nahost wurde dem Besuch grosse Bedeutung beigemessen. Aber weder die extreme Rechte in der israelischen Regierung noch die weitgehend isolierte Palästinensische Autonomiebehörde zeigten Bereitschaft, sich zu mässigen. Blinken mahnte zu Ruhe und Deeskalation und forderte eine Zwei-Staaten-Lösung im jahrelangen Konflikt.
Verdächtiger Ballon über den USA:
Wir bleiben gleich bei Antony Blinken. Der Aussenminister der USA sagte einen für am Sonntag geplanten Besuch in Peking ab, nachdem ein mutmasslicher chinesischer Spionageballon über dem US-Amerikanischen Festland entdeckt wurde. Blinken sprach von einem inakzeptablen Vergehen Chinas. China bestreitet, dass es sich um einen Ballon zu Spionagezwecken handelte. Es sei ein ziviles Luftschiff für Forschungszwecke, vor allem meteorologischer Art, das wegen starker Westwinde âweit vom geplanten Kursâ abgekommen sei. Weiter wolle China mit den USA kommunizieren und angemessen mit dieser âunerwarteten Situationâ umgehen.
Am Samstag bestätigte das US-Verteidigungsministerium, dass der Ballon vor der Küste des Bundesstaats South Carolina abgeschossen worden sei. Die Trümmer wurden geborgen und anschliessend analysiert.
Derweil haben die kolumbianischen Behörden am Samstagabend Ortszeit die Entdeckung eines weiteren unbekannten Objekts im eigenen Luftraum gemeldet. Die USA hatten bereits am Freitag mitgeteilt, dass sich ein weiterer möglicher Spionageballon über Lateinamerika befinden könnte.
Das warâs von uns für diese Woche, vielen Dank für dein Vertrauen. Wir lesen uns nächsten Sonntag.
Redaktionsschluss: 18:00
Weekly 05/2023
Headerbild von Milad Fakurian auf Unsplash
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