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Weekly, KW07

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Weekly am 19.02.2023 rethink

Guten Abend aus der rethink-Redaktion. 

Heute mit dem Aus für den Verbrennungsmotor in der EU, dem Spitzentreffen der Verteidigungsminister:innen in München und im Fokus: Forderungen für mehr Zeit für frischgebackene Eltern.

Übrigens: Das Weekly gibt es wie jede Woche auch zu hören. Über den Link oben oder in jeder gängigen Podcast-App.

Elternzeit: Kommission schlägt 38 Wochen vor.

Die Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) will der Diskussion um eine Elternzeit auf nationaler Ebene neuen Schwung verleihen. Am Dienstag stellt sie ihren Vorschlag einer gemeinsamen Elternzeit vor. Mit diesem sollen Mütter und Väter nach Geburt ihres Kindes zusammen 38 Wochen Elternzeit beziehen können. Die Aufteilung sei entweder 50:50, also mit je 19 Wochen für beide Elternteile, oder variabel möglich. Mütter sollen mit dem neuen Modellvorschlag zwischen 16 und 23 Wochen, Väter zwischen 15 und 22 Wochen beziehen können. Bezieht der Vater nicht mindestens 15 Wochen, verfällt sein Anspruch auf die Elternzeit. Auf die Mutter übertragbar ist er nicht. Profitieren sollen alle, die vor der Geburt eine Erwerbsarbeit hatten.
Aktuell gelten in der Schweiz 14 Wochen Mutter- und 2 Wochen Vaterschaftsurlaub.

Hintergrund:
Die EKFF ist eine ausserparlamentarische Kommission - also nicht mit Parlamentarier:innen besetzt - und berät den Bundesrat. Sie stellt eigenen Angaben zufolge “spezifisches Fachwissen im Bereich Familienpolitik” sicher. Allgemein setzte sie sich für gute Rahmen- und Lebensbedingungen “für alle Familienformen” ein. Seit 2010 fordert sie die Einführung einer Elternzeit in der Schweiz. Seither beobachtet sie auch die Entwicklung in anderen Ländern.

Die Präsidentin der Kommission, Monika Maire-Hefti, betonte am Dienstag, dass die Elternzeit in den umliegenden Ländern nur Vorteile gebracht habe, auch den Arbeitgebern. Ausserdem habe sich gezeigt, dass wenn die Väter die freie Wahl über den Bezug der Elternzeit haben, häufig zugunsten der Mutter auf diesen verzichtet wird. Das aber verhindere, dass Mütter früher und in höheren Pensen im Arbeitsmarkt integriert werden. Deshalb schränkt das jetzt vorgestellte Modell die freie Aufteilung der Elternzeit ein. 

Kritik kommt von Seiten der Arbeitgeber. Aus Sicht des Arbeitgeberverbands helfe das Elternzeit-Modell kaum gegen den Arbeitskräftemangel. Dazu sei es planlos und aufgebläht. Etwas bringen würden ein Ausbau der Betreuung von Kindern arbeitstätiger Eltern, eine Flexibilisierung der Arbeitszeit oder eine bessere Absicherung von Teilzeitangestellten in der zweiten Säule - aber ein Urlaub gehöre nicht dazu, führt Lukas Müller-Brunner aus. Er ist Leiter Ressort Sozialpolitik und Sozialversicherungen beim Arbeitgeberverband. Die Wirtschaft sei durchaus offen dafür, die Kitas mitzufinanzieren, wenn sich dies in einer höheren Erwerbsquote der Frauen niederschlage, so Müller-Brunner. 

Als weiteres Argument gegen die Elternzeit kommen die Kosten: So würden die 38 Wochen laut Arbeitgeberverband schätzungsweise 2.5 Milliarden Franken pro Jahr kosten, die mit Lohnbeiträgen finanziert werden müssten.
Die Kommission argumentiert hingegen, dass das Modell auch der Wirtschaft entgegenkommen soll. Mit dem Vater als gleichberechtigten Betreuer könnten die Frauen ihr Berufspensum höher ansetzen. Und damit würden auch ihre Renten besser, so die Eidgenössische Kommission für Familienfragen.

Was jetzt passiert:
Politisch gestaltet sich die Einführung einer Elternzeit wohl schwierig. Der Vaterschaftsurlaub auf nationaler Ebene wurde im September 2020 zwar mit guten 60% Ja-Stimmen angenommen. Im vergangenen Jahr hat die öffentliche Debatte um die Elternzeit wegen der Einführung des Vaterschaftsurlaubs und kantonaler Vorstössen wieder Schub bekommen.
Kantonale Elternzeit-Vorlagen hatten es jedoch seither schwieriger. Diverse Vorlagen sind pendent, etwa in Genf oder Luzern. Auch im Kanton Bern ist bereits eine Initiative zustande gekommen. Die Idee deutlich verworfen hat das Stimmvolk des Kantons Zürich im vergangenen Frühling. Das Resultat wurde auch als Zeichen gewertet, dass die Elternzeit auf nationaler Ebene wohl noch wenig Chancen hat. Gegen kantonale Vorgehen sprechen die Kosten - und dass es eine einheitliche Lösung braucht in der Schweiz und nicht 26 verschiedene. 

Elternzeit gibt es in Europa in verschiedenen Ländern in unterschiedlicher Form. Finnland steht dabei an der Spitze. Seit letztem Herbst bekommt jeder Elternteil 160 bezahlte Tage. Auch hier können die Väter nur einen Anteil ihrer Tage an die Mütter abtreten.

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Sicherheitskonferenz in München.

Was für die Wirtschaftspolitik das WEF in Davos ist, ist für die globale Sicherheitspolitik die dreitägige Konferenz in München. An diesem jährlichen Treffen debattieren Staats- und Regierungschefinnen, Minister und NGO-Vertreterinnen aus fast hundert Staaten über Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dieses Jahr sind Delegationen aus 96 Staaten nach Deutschland gereist. Explizit nicht eingeladen wurden Russland und Iran. Russland war letztes Jahr noch eingeladen, sagte dann aber selbst ab. Nun sollte das Land keine Plattform für Propaganda und Desinformation bekommen. Zudem sei Russland im Moment gar nicht interessiert an der Suche nach einer Lösung, die mit dem Völkerrecht zu vereinbaren wäre.

Hintergrund:
Vier Tage nach der letztjährigen Konferenz startete der russische Angriff gegen die Ukraine. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine dominierte an der diesjährigen Versammlung nun alle Diskussionsrunden, Vorträge und Sitzungen.
Die Organisator:innen setzten sich zum Ziel, dafür zu sorgen, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine nachhaltig ist und dem Westen nicht zu schnell der Atem ausgeht. Zugleich sollen Länder in Afrika, Asien und Südamerika dazu gebracht werden, Position für die Ukraine und gegen Russland zu beziehen. 

China hatte am Samstag überraschend einen Vorschlag für politische Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine angekündigt. Wie dieser aussehen soll liess der oberste chinesische Aussenpolitiker Wang Yi offen. Entsprechend skeptisch reagierten westliche Länder darauf. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock begrüsste die Ankündigung zwar, betonte aber auch, dass ein gerechter Frieden nicht bedeutet, den Aggressor zu belohnen, sondern für das internationale Recht und die angegriffene Partei einzustehen. Es müsse jedoch jede Chance auf Frieden genutzt werden.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris appellierte an China, Russland nicht mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Alle Schritte in diese Richtung würden “Aggression belohnen und das Töten fortsetzen”. 

Die Schweiz war durch Verteidigungsministerin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis vertreten. Amherd sagte im Interview mit Radio SRF, sie sei bei jedem Gespräch auf die Schweizer Neutralität angesprochen worden. “[...] Es wurde ganz gut verstanden, dass wir nicht direkt Waffen liefern können an eine Konfliktpartei. Was weniger gut verstanden wurde, war das Thema der Wiederausfuhrverbote”, so die Verteidigungsministerin. Konkret kritisiert etwa Deutschland die Schweiz wiederholt dafür. Deutschland lieferte Panzer des Typs Gepard an die Ukraine. Die Munition dafür wurde durch eine Tochterfirma des Rüstungsunternehmen Rheinmetall in der Schweiz produziert. Bundesbern lehnte wegen des Neutralitätsgesetzes mehrfach Anfragen der deutschen Regierung ab, die die Schweizer Munition an die Ukraine weitergeben wollte. Deutschland reagierte am Dienstag darauf und kündigte an, künftig selbst vermehrt Munition herstellen zu wollen.


Weitere Nachrichten der Woche in Kurzform.

Verbrennerverbot in der EU:
Das Parlament der Europäischen Union hat endgültig für das Aus des Verbrennungsmotors gestimmt. Ab 2035 sollen in der EU nur noch Neuwagen verkauft werden, die keine Treibhausgase ausstossen. In einem ersten Zwischenschritt sollen bis 2030 die CO2-Emissionen von neuen Autos um die Hälfte gesenkt werden. Wenn Mobilität erschwinglich bleiben und sauber werden soll, gibt es nach den Worten des stellvertretenden EU-Kommissionschef Frans Timmermanns nur eine Möglichkeit: schnell mehr Elektroautos bauen. Europas Fahrzeughersteller hätten das bereits erkannt. So haben sich fast alle Hersteller bereits vor dem EU-Entscheid zu einem Aus der Diesel- und Benzinmotoren bekannt. Volkswagen etwa will ab 2026 nur noch reine Elektroautos entwickeln, das britische Unternehmen Jaguar kündigte an, ab 2025 nur noch Elektroautos auf den Markt zu bringen. Druck bekommen die europäischen Hersteller zum Einen aus den USA mit Tesla, zum Anderen aus China. Allein in diesem Jahr werden 80 chinesische E-Automodelle auf dem internationalen Markt erwartet.

Schottische Regierungschefin tritt zurück:
Nicola Sturgeon, die schottische Regierungspräsidentin, kündigte am Mittwoch völlig unerwartet ihren Rücktritt an. Mit ihrem Herzen und Verstand wisse sie, dass dies der richtige Zeitpunkt sei, um das Amt als Regierungschefin und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) abzugeben. Sturgeon trat 2014 ihr Amt an. Immer wieder eckte sie bei der britischen Regierung in London an. Etwa mit einem sogenannten Gender-Gesetz, dass kein medizinisches Gutachten als Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrags gefordert hätte. Das schottische Regionalparlament hatte dem Gesetz im Januar bereits zugestimmt, die Regierung in London legte aber zum ersten Mal in der Geschichte des Vereinigten Königreichs ihr Veto ein und verhinderte das Gesetz fürs Erste.

Und vergangenen November hatte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs entschieden, dass die schottische Regionalregierung ein zweites Unabhängigkeitsreferendum nicht ohne Zustimmung der Regierung in London abhalten darf. 2014 hatten sich die Schottinnen und Schotten mit 55 zu 45 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden. Das war allerdings noch vor dem Brexit, den die Mehrheit in Schottland bei der Volksabstimmung 2016 ablehnte. Sturgeon kündigte daraufhin an, die britische Unterhaus-Wahl im nächsten Jahr de facto zu einer Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit zu machen. Nicola Sturgeon verwies bei die Frage, warum sie gerade jetzt aussteige, auf körperliche und psychische Belastungen, die sie als Regierungschefin erfahren habe. Die Frage, ob sie noch die Richtige für ihre Partei, ihr Land und den Kampf für die Unabhängigkeit sei, sei seit Jahresanfang immer schwieriger mit “Ja” zu beantworten gewesen. Sturgeon kündigte an, solange im Amt zu bleiben, bis die SNP eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger gefunden hat.


Das war’s von uns für diese Woche, vielen Dank für dein Vertrauen. Wir lesen uns nächsten Sonntag.


Redaktionsschluss: 16:00
Weekly 07/2023

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