Weekly, KW 8+9
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Wir schauen heute gleich auf die letzten zwei Wochen zurück. Wie du vielleicht gemerkt hast, gab es vergangenen Sonntag eine Zwangspause. Nun sind wir aber wieder zurück und haben diese Themen für dich: 1 Jahr Krieg in der Ukraine, Wahlen in Nigeria und eine Einigung im wichtigsten Streit um den Brexit.
Übrigens: Das Weekly gibt es wie jede Woche auch zu hören. Über den Link oben oder in jeder gängigen Podcast-App.
Über ein Jahr Krieg in der Ukraine.
Am Freitag vor einer Woche war es genau ein Jahr her, seit Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Von der Krim im Süden, vom Osten und von Belarus im Norden aus dringen die russischen Invasoren gleichzeitig in das Land vor. Bald war klar: Das Hauptziel ist Kiew. Tausende fliehen aus der Hauptstadt. Russland will die ukrainische Hauptstadt in wenigen Tagen eingenommen haben und die Regierung stürzen. Moskau unterschätzt dabei massiv den Kampfeswillen und das militärische Geschick der Ukrainer. Seit der gewaltsamen Annexion der Halbinsel Krim 2014 hat sich die ukrainische Armee gewappnet. Und zeigte sich bereit, sich Russland entgegenzustellen.
Die USA boten kurz nach dem Einmarsch dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski an, ihn zu evakuieren. Selenski lehnte ab und sagte, er brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Munition.
Seither dominiert dieser Krieg das Leben vieler Menschen. Sei es direkt in der Ukraine, wo Tausende Menschen versuchen, den Alltag trotz Krieg am Laufen zu halten. Trotz Luftalarm, abertausenden zerbombten Gebäuden und beschädigter Infrastruktur. Das Motto scheint zu lauten: Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir leben unser Leben weiter.
Militärisch hat sich die Front verhärtet, weder der ukrainischen noch der russischen Armee gelangen in letzter Zeit Landgewinne. In der Region rund um die Stadt Bachmut hat sich der Krieg zu einer regelrechten Abnutzungsschlacht entwickelt. Diese Woche sind die russischen Truppen nach Angaben der Ukraine weiter vorgerückt. Präsident Selenski erklärte allerdings Mitte dieser Woche, dass die Ukraine jedes Gebiet an der Front unter Kontrolle habe.
Die politische Lage:
Die Ukraine erlebt von westlichen Ländern weiterhin enorme finanzielle und militärische Unterstützung. Beim Treffen der 20 wichtigsten Aussenminister:innen in Indien versprach der US-Aussenminister Antony Blinken, dass die USA die Ukraine âso lange wie nötigâ unterstützen würden. Beim G-20 Gipfel haben übrigens Blinken und der russische Aussenminister Sergei Lawrow erstmals seit der Invasion direkt miteinander gesprochen.
Freitag vor einer Woche präsentierte China seinen Friedensplan, der vorgängig bereits an der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt wurde. In einem Zwölf-Punkte-Programm werden unter anderem eine Waffenruhe und Friedensverhandlungen gefordert. Präsident Selenski sagte dazu, dass er es ânicht schlechtâ finde, dass China über Frieden in der Ukraine spreche. Eine Waffenruhe komme aber für die Ukraine nur infrage, wenn Russland seine Truppen vorgängig zurückziehe. Russland hingegen betonte, bei allfälligen Friedensverhandlungen könnten die neuen âterritorialen Realitätenâ nicht ignoriert werden. Damit stellt Moskau klar, dass es an den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten festhalten wird.
Die diplomatische Lage:
In New York traf sich am Jahrestag der russischen Invasion die Vollversammlung der Vereinten Nationen zu einer Sondersitzung. UNO-Generalsekretär António Guterres warnte vor einer Ausweitung des Konfliktes und dem Einsatz von Atomwaffen. Der sogenannte taktische Einsatz von Atomwaffen sei völlig inakzeptabel. âEs sei höchste Zeit, vom Abgrund zurückzutretenâ, so der UNO-Generalsekretär. Und verdeutlichte: âKrieg ist nicht die Lösung. Krieg ist das Problemâ.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschloss in der Sondersitzung eine Resolution, die eine Friedenslösung und einen Truppenabzug Russlands fordert. 141 der 193 Mitgliedsländer unterstützten die Resolution, sechs Staaten, darunter Syrien, Belarus und Nordkorea stimmten an Russlands Seite für Nein. Enthaltungen gab es von China und Indien. Der Beschluss verlangt einen "umfassenden, gerechten und dauerhaften Friedenâ in der Ukraine. Russland wird aufgefordert, âsofort, vollständig und bedingungslosâ alle seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen.
Die Abstimmung war ein globaler Stimmungstest - den die Unterstützer der Ukraine bestanden haben. Trotzdem hat die Abstimmung nur einen symbolischen Charakter. Die UNO-Vollversammlung kann keine bindenden Auflagen machen. Dafür wäre der Sicherheitsrat das richtige Gremium. Hier ist Russland aber eine Vetomacht und alle Beschlüsse, an die sich Russland notabene dann halten müsste, können abgewehrt werden.
Seit Beginn des Kriegs hat die UNO-Vollversammlung Russland schon wiederholt für sein Vorgehen kritisiert. So stimmten bereits wenige Tage nach Beginn der Invasion ebenfalls 141 Staaten für eine Resolution, die Russlands "Aggression gegen die Ukraineâ verurteilte.
Die humanitäre Lage:
Die humanitäre Lage in der Ukraine hat sich nach Angaben des Flüchtlingshilfswerk der UNO massiv verschlechtert. Rund 40 Prozent der Bevölkerung sind mittlerweile auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. 60 Prozent leben an der Armutsgrenze. Die Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur durch den Krieg wird auf über 130 Milliarden Euro geschätzt. Der Krieg hat eine der grössten Vertreibungskrisen weltweit ausgelöst. Ende Februar waren rund 8 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer als Geflüchtete registriert. Die grösste Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Innerhalb des Landes sind weitere 6.3 Millionen Menschen auf der Flucht.
Nigeria hat gewählt.
Vergangenes Wochenende waren fast 90 Millionen Wahlberechtigte in Nigeria dazu aufgerufen, den Präsidenten und beide Kammern des Parlaments neu zu wählen.
Am Mittwoch verkündete die Nationale Wahlkommission Bola Ahmed Tinubu als Gewinner. Damit bleibt die regierende Partei APC an der Macht. Der bisherige Amtsinhaber Muhammadu Buhari durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wahl antreten.
Tinubu gilt als politisch sehr gewieft, war bereits Gouverneur der Millionenstadt Lagos und sei einer der reichsten Politiker Nigerias. Gegen ihn gibt es diverse Korruptionsvorwürfe, unter anderem wegen Drogenhandels. Der neue Präsident steht in Augen vieler Nigerianer:innen sinnbildlich für die grassierende Korruption in Nigerias Politelite.
Hintergrund:
Nigeria ist mit rund 220 Millionen Einwohner:innen das bevölkerungsreichste Land, die grösste Volkswirtschaft und der wichtigste Ölproduzent Afrikas. Besonders junge Menschen interessierten sich für die Wahl und bezogen ihre Bescheinigung, um an der Wahl teilzunehmen. Sie machten mit 37 Prozent die grösste Wählergruppe aus.
Zum ersten Mal hatte ein Kandidat der Arbeiterpartei reale Chancen auf einen Gewinn. Peter Obi wurde hauptsächlich von Student:innen und arbeitslosen Jugendlichen unterstützt. Er erhielt laut der Wahlkommission 6 Millionen der Stimmen, knapp 3 Millionen weniger als der Wahlgewinner Tinubu.
Bevor das Wahlresultat bekannt gegeben wurde, erhoben mehrere Oppositionsparteien Vorwürfe, dass bei der Wahl betrogen worden sei. Bereits am Wahltag kam es zu Verzögerungen bei der Öffnung der Wahlbüros. Anschliessend kam es bei der elektronischen Übermittlung der Resultate zu Unregelmässigkeiten. Entweder seien sie gar nicht elektronisch übermittelt worden oder Stunden verspätet. Das hat zu Spekulationen geführt, dass Resultate möglicherweise manipuliert worden sein könnten. Es waren etwa 100â000 Wahlbeobachter:innen aus Nigeria, aber auch aus dem Ausland im Einsatz. Sie setzten sich für eine freie und faire Stimmabgabe ein. Und auch sie äusserten Kritik. So hiess es etwa von den Beobachter:innen der EU, fehlende Transparenz sowie das Versagen bei Planung und Ausführung der Wahlen hätten das Vertrauen in den Wahlvorgang beschädigt.
Was jetzt passiert:
Nigeria leidet unter massiven Problemen, die dringend vom neuen Präsidenten angegangen werden müssen. Die Sicherheitslage ist schwer angespannt, im Norden des Landes sind zahlreiche bewaffnete Milizen aktiv, darunter dschihadistische Terrorgruppen wie Boko Haram. Im ganzen Land werden immer wieder Menschen gekidnappt.
Seit Wochen gibt es einen Benzinengpass im ganzen Land. Nigeria exportiert das Erdöl komplett, eigene Raffinerien besitzt es keine. So muss Benzin wieder importiert werden. Treibstoff ist aber auch sonst nur schwer zu bekommen: Bargeld ist wegen einer Bargeldreform kaum erhältlich, die neuen Scheine sind noch nicht grossflächlig verfügbar, die alten aber schon nicht mehr gültig. Und schliesslich liegt die Inflation derzeit bei über 20 Prozent. Mehr als 80 Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze.
Wie Bola Ahmed Tinubu diese Probleme angehen will, ist unklar. Während dem Wahlkampf setzte er wenig auf politische Argumente und Versprechen, sondern betonte einfach immer wieder, dass er jetzt an der Reihe sei für die Präsidentschaft.
Gerade junge Wähler:innen haben sich von den Wahlen einen Neustart und einen Wandel erhofft. Ob Bola Ahmed Tinubu diesem Wunsch gerecht wird, darf bezweifelt werden.
Weitere Nachrichten der Woche in Kurzform.
Deutschland will Schweizer Leopard-Panzer kaufen:
Verteidigungsministerin Viola Amherd wurde letzte Woche in einem Brief gebeten, Leopard-2-Panzer der Schweizer Armee an den Hersteller Rheinmetall zurück zu verkaufen. Absender dieser Bitte sind ihr deutscher Amtskollege Boris Pistorius und der Wirtschaftsminister Robert Habeck. Konkret sollen von der Schweiz nicht benötigte Panzer verkauft werden, um damit Panzer zu ersetzen, die Deutschland und andere EU-Länder in die Ukraine geliefert haben. Für den Verkauf wäre die Zustimmung des Parlaments nötig. Der Bundesrat will zu dem Thema gegenüber dem National- und Ständerat am Montag Stellung nehmen.
In Bundesbern muss vor allem geklärt werden, wie viele Stück die Schweiz überhaupt freigeben könnte, und ob ein solcher Verkauf mit dem Neutralitätsprinzip vereinbar wäre. Deutschland sicherte der Schweiz zu, dass die von der Schweiz verkauften Kampfpanzer nicht an die Ukraine weitergegeben würden.
Einigung im Brexit-Streit:
Grossbritannien und die Europäische Union haben sich am Montag über einen der wichtigsten Punkte des Brexit geeinigt. Das Nordirland-Protokoll regelt seit dem Austritt Grossbritanniens aus der EU den Warenverkehr auf der irischen Insel. Da zwischen Nordirland und Irland die einzige Landgrenze zwischen dem Königreich und der Union ist, sollte grundsätzlich ein striktes Grenzregime gelten. Um ein Wiederaufflammen des Konflikts um eine Vereinigung der beiden Teile Irlands zu vermeiden, sah das Nordirland-Protokoll vor, dass die Zollgrenze in der irischen See verläuft. Insgesamt stärkt also das Protokoll die Handelsbeziehungen zwischen Irland und Nordirland, schwächt aber den Handel zwischen Grossbritannien und Nordirland. London wollte den Vertrag nun nachverhandeln, damit sich Nordirland nicht vom eigenen Land abgeschnitten fühlt.
Die erzielte Einigung sieht vor, dass der Warenverkehr von und nach Nordirland über zwei Spuren erfolgen soll - einer roten für Waren, die aus oder in den EU-Binnenmarkt transportiert werden und einer grünen für Produkte aus Grossbritannien. Für die grüne sollen keine Zollpapiere mehr ausgefüllt werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass das Abkommen vor allem die Probleme des täglichen Lebens in den Blick nehme. Künftig könnten die Menschen in Nordirland die gleichen Lebensmittel und Medikamente kaufen wie im Vereinigten Königreich. Mit Spannung wird nun erwartet, ob der britische Premier Rishi Sunak für die Vereinbarung auch die Unterstützung von Brexit-Hardlinern seiner konservativen Tory-Partei und der nordirischen Protestantenpartei DUP erhält. Die DUP blockiert aus Protest gegen die aktuellen Regelungen seit Monaten die Bildung einer Regionalregierung in Nordirland.
Erneute Demonstration in Israel:
In Israel haben gestern Abend erneut Zehntausende Menschen gegen die umstrittene Justizreform der teils rechtsextremen Regierung demonstriert. Allein in Tel Aviv sollen sich über 160`000 Menschen an den Protesten beteiligt haben. Nach Plänen der Regierung von Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu soll es dem Parlament unter anderem künftig möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Obersten Gerichts aufzuheben. Ausserdem sollen Politiker:innen bei der Ernennung von Richter:innen mehr Einfluss erhalten. Vorgesehen ist auch die Einführung der Todesstrafe. Die Demonstrierenden sehen durch die Reform die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen vor einer drohenden israelischen Diktatur.
Die Justizreform ist im Parlament bereits in Teilen verabschiedet worden. Das Gesetzesvorhaben könnte Benjamin Netanjahu auch in einem laufenden Korruptionsprozess gegen ihn Vorteile bringen.
Das warâs von uns für diese Woche, vielen Dank für dein Vertrauen. Wir lesen uns nächsten Sonntag.
Redaktionsschluss: 18:00
Weekly 09/2023
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