rethink

View Original

Weekly, KW 10

🕐: ca. 9 Min. | 🎧: hier hören

Your browser doesn't support HTML5 audio

Weekly am 12.03.2023 rethink

Guten Abend aus der rethink-Redaktion. 

Heute mit Urnengängen in der Schweiz, Ernüchterung im Kandertal und Betroffenheit in Hamburg.

Abstimmungssonntag.

Heute war Abstimmungssonntag. Nationale Vorlagen gab es zwar keine, doch das Stimmvolk in einigen Kantonen und Städten war dazu aufgerufen, ihre Meinung zu äussern. Wir haben dir einige interessante Themen zusammengefasst.

Genf: Werbeverbot
Die Stadt Genf stimmte heute darüber ab, ob kommerzielle Werbung auf öffentlichen Plätzen verboten werden soll. 

Die Idee einer werbefreien Stadt entstand vor rund sechs Jahren, als wegen eines Konzessionswechsel die Werbeplakate drei Wochen werbefrei blieben. Die Bevölkerung nutzte die Gelegenheit und bemalte die weissen Flächen. Linke Parteien lancierten daraufhin eine Initiative, die im Genfer Stadtparlament eine Mehrheit fand. Dagegen wurde das Referendum ergriffen, weshalb nun das Volk entscheidet.
Die Initiative fordert ein Verbot von kommerzieller Werbung - also solche Plakate, die Menschen dazu auffordern, etwas zu kaufen. Kultur- Sport und Bildungsplakate sind davon ausgenommen. Ausserdem auch Werbeflächen auf privatem Grund und Häusern.

Abstimmungsergebnis:
Das Stimmvolk entschied sich heute an der Urne knapp gegen ein Verbot. Mit 51.9 Prozent Nein-Stimmen kommt die Initiative “Genf ohne Werbung” nicht durch.

Klimainitiaitven in der Zentralschweiz:
Die Kantone Ob- und Nidwalden stimmten beide über die selbe Initiative ab. Ihr Ziel: Ein Klimaartikel in der Verfassung. Der CO2-Ausstoss der beiden Kantone soll bereits 2040 bei Null liegen, zehn Jahre früher als auf nationaler Ebene.
Ob- und Nidwalden als ländliche und gebirgige Kantone seien von der Klimaerwärmung besonders betroffen, sagte etwa der Präsident der Nidwaldner Grünen. Welche Massnahmen die Kantone umsetzen sollen, lässt die Initiative offen. Allerdings soll dies auf wirtschaftsfreundliche Art passieren, etwa mit der Förderung innovativer Technologien. 

Im Kanton Obwalden konnte das Stimmvolk die Initiative an- oder ablehnen, in Nidwalden stand noch ein Gegenvorschlag der Regierung zur Auswahl. 

Die Nidwaldner Regierung will den Klimaschutz zwar in der Kantonsverfassung festschreiben, jedoch ohne die Jahreszahl 2040. Dies schaffe der Kanton nicht, sagt der Nidwaldner Umwelt- und Landwirtschaftsdirektor Joe Christen.

Abstimmungsergebnis:
Der Kanton Nidwalden soll klimaneutral werden, allerdings nicht bis 2040. Das hat das Stimmvolk heute entschieden. Die Klima-Initiative wird mit 73.5 Prozent deutlich abgelehnt. Gefallen findet das Stimmvolk allerdings am Gegenvorschlag der Regierung, der mit 61.1 Prozent angenommen wird. 

Der Nachbarkanton Obwalden verzichtet hingegen auf das Festlegen eines kantonalen Klimazieles. 73.4 Prozent sagten an der Urne zur Initiative Nein.


AirBnB und Co. in Luzern unter Druck:
Die Stimmbevölkerung in der Stadt Luzern entschied heute über eine Initiative, die die kommerzielle Vermietung von Wohnungen einschränken will. Konkret sollen Wohnungen nur noch an höchstens 90 Tagen im Jahr als Ferien- oder Business-Wohnungen vermietet werden dürfen. 

Damit will die SP der Stadt Luzern zusammen mit dem Mieterinnen- und Mieterverband und dem alternativen Wohneigentümerverband Casafair verhindern, dass ganze Wohnblöcke für solche Angebote genutzt würden. 

Die Forderungen der Initiative geht allen grossen Parteien der Stadt ausser der SP zu weit. Es seien nur rund 350 von insgesamt knapp 50’000 Wohnungen in der Stadt als Kurzzeit-Apartments registriert. Aber auch die Gegnerinnenseite willkeine ungebremste Zunahme von Ferien- und Business-Wohungen. Deshalb hatte das Stimmvolk die Möglichkeit, über einen Gegenvorschlag abzustimmen. Dieser will die Quote von Wohnungen auf Plattformen wie Booking oder AirBnB auf höchstens 1.5 Prozent der Wohnungen einschränken. 

Abstimmungsergebnis:
Überraschend stellte sich das Luzerner Stimmvolk auf die Seite der SP und Mieter:innenverband und nahm die Initiative mit deutlichen 65.3 Prozent an. Damit folgt die zentralschweizer Stadt den Kantonen Genf und Waadt, die ebenfalls eine 90-Tage-Regel kennen.

See this form in the original post


Ernüchterung in Mitholz.

In Mitholz im Berner Oberland herrscht Aufbruchstimmung. Fünf Familien haben den Ort bereits verlassen, bei anderen läuft aktuell der Umzug. Firmen und Privatpersonen verschieben ihren Wohn- und Arbeitsplatz an anderer Stelle im Kandertal. Der Wegzug von Mitholz erfolgt unfreiwillig. Das ehemalige Munitionslager Mitholz soll komplett geräumt werden, da immer noch gefährliche Granaten im Fels liegen. Die Personen, die im Sicherheitsperimeter wohnen, müssen umgesiedelt werden.
Und jetzt - wo sich die meisten damit arrangiert haben - kommt das Projekt zu einem Marschhalt. Den insgesamt 51 betroffenen Personen kann das Verteidigungsdepartement VBS infolge Geldmangel keine Grundstücke und Häuser abkaufen. Und diesen fehlt so das Geld für ihre Umzugs- und Neubaupläne zu realisieren.

Hintergrund:
1947 kam es im unterirdischen Munitionslager Mitholz zu Explosionen, wobei neun Menschen in der Umgebung der Anlage starben. Ein Teil der Munition konnte daraufhin geräumt werden, laut einer Schätzung befinden sich in den eingestürzten Teilen und im Schuttkegel davor noch bis zu 3’500 Tonnen Munition mit mehreren hundert Tonnen Sprengstoff. 2018 kam ein Expert:innenbericht im Gegensatz zu allen vorhergegangenen Entscheiden zum Schluss, dass ein wesentlich höheres Risiko von den Resten des Munitionslager ausgeht. Ende 2020 entschied sich der Bundesrat für die vollständige Räumung. Kosten: 2.6 Milliarden Franken. Für die Räumung an sich, aber auch Schutzmassnahmen. So muss etwa die Kantonsstrasse Richtung Kandersteg verlegt, die Bahnstrecke mit Schutzbauten versehen und eben 51 Personen aus der Gefahrenzone umgesiedelt werden.

Das VBS kann trotz schriftlicher Kaufzusagen die betroffenen Personen nun nicht beim Umzug unterstützen. Die für das laufende Jahr vorgesehenen 50 Millionen Franken sind blockiert, wie Recherchen von “Schweiz aktuell” zeigen. 

Grund dafür: Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates hat Ende Februar in ihrer Sitzung entschieden, die Beratung über das Geschäft und die Freigabe des Budgets um maximal ein Jahr zu verzögern. Sie fordert vom VBS eine vertiefte Studie, die erneut die Varianten der Verfüllung, Verkapselung und Abdichtung prüfen soll. Diese Varianten hat der Bund als nicht sicher genug bereits verworfen. 

Die Sicherheitskommission wolle Klarheit über möglichst alles, wenn das Parlament die 2.6 Milliarden Franken für die Räumung bewilligen solle, sagte etwa SP-Nationalrätin Franziska Roth.

Was jetzt passiert:
Die Extrarunde kann ein Jahr dauern und hat Folgen: Die vom VBS eingeplanten Gelder für die Mitholzerinnen und Mitholzer fliessen nicht mehr. Und je nach Ausgang der Studie ist es auch nicht mehr sicher, ob es überhaupt zu einer Räumung des Lagers kommt. Für die betroffenen Personen bedeutet das jetzt, dass niemand weiss wie es weitergeht. Jetzt müsste Bauland gekauft, Verträge abgeschlossen und Planungskosten bezahlt werden, sagte ein Unternehmer aus Mitholz. Doch nun heisse es, es gebe kein Geld mehr, und niemand wisse, ob überhaupt Geld komme.

Die Interessensgemeinschaft Mitholz kritisiert den Entscheid der Sicherheitspolitischen Kommission. Man sei sich über die vollständige Räumung des Munitionslager längst einig gewesen und habe sich damit abgefunden. SVP-Nationalrat und Kommissionsmitglied Erich Hess stellte in Aussicht, mit einem Nachtragskredit von 50 Millionen Franken ab Sommer wieder Liegenschaftskäufe zu ermöglichen. Damit könnten zumindest die Umzugsplanungen der 51 Betroffenen weitergehen.


Weitere Nachrichten der Woche in Kurzform.

Amoklauf in Hamburg:
Am Donnerstagabend fielen in einer Kirche der Gemeinde Zeugen Jehovas im Hamburger Stadtteil Gross Borstel Schüsse. Ein Einzeltäter tötete und verletzte mehrere Menschen. Die Hamburger Polizei spricht von acht Todesopfern. Dazu zählt sie den mutmasslichen Täter und ein ungeborenes Kind, dessen Mutter überlebt hat. Zum Tatzeitpunkt sei per Zufall in unmittelbarer Nähe ein Sonderkommando der Polizei gewesen, das dank schnellem und entschlossenem Eingreifen wahrscheinlich weitere Opfer verhindern konnte, so der Innensenator von Hamburg. Der mutmassliche Schütze sei ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen und habe die Gemeinde vor eineinhalb Jahren freiwillig verlassen. Er war legal Besitzer einer Pistole. Im Januar wurde die Waffenbehörde anonym über eine mögliche psychische Erkrankung des Täters gewarnt. Die Behörde habe aber bei einem Besuch keine Auffälligkeiten entdeckt und konnte rechtlich keine weiteren Schritte unternehmen. Das Tatmotiv ist noch unbekannt.

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Die deutsche Gemeinschaft gehört mit rund 200’000 Angehörigen zu den grössten in Europa.

Rentenreform Frankreich:
Der französische Senat hat in erster Lesung für die umstrittene Rentenreform der Regierung gestimmt. 195 Senator:innen befürworteten in der Nacht auf Sonntag den Entwurf, 112 lehnten ihn ab. Premierministerin Borne erklärte anschliessend, man habe eine wichtige Etappe geschafft. Am Mittwoch soll nun eine Kommission beider Kammern des Parlaments einen Kompromiss finden, der sowohl in der Nationalversammlung als auch im Senat mehrheitsfähig ist. In der Nationalversammlung hat das Regierungslager von Präsident Macron keine ausreichende Mehrheit und ist auf Stimmen etwa von den konservativen Republikanern angewiesen.

Schrittweise will die französische Regierung das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 anheben. Auch am Samstag demonstrierten Hunderttausende Menschen gegen die Pläne der Regierung. Die Gewerkschaften stellen einen unbefristeten Streik in Aussicht, falls die Rentenreform nicht zurückgezogen werde.

Das war’s von uns für diese Woche, vielen Dank für dein Vertrauen. Wir lesen uns nächsten Sonntag.


Redaktionsschluss: 15:30
Weekly 10/2023

Headerbild von Milad Fakurian auf Unsplash

© rethink-blog 2023