Weekly, KW 25
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Das ist das Weekly, der Nachrichtenrückblick der Woche am 25. Juni. Und das sind die Schauplätze der Nachrichten heute: Bern, wo nach dem angekündigten Rücktritt von Bundesrat Berset bereits das Kandidaturenkarussell warm läuft, das Strafgericht in Lausanne, wo sich die Stimmungslage nach einem Urteil gegen sechs Polizisten erhitzt. Und zum Schluss noch Russland, wo die Söldnertruppe Wagner den Aufstand gegen Moskau versuchte.
Alain Berset gibt sein Amt Ende Jahr ab.
Es war einer dieser Momente, wo der Mikrokosmos Bundeshaus noch mehr wuselte und rumorte als sonst. Am Mittwoch, kurz vor dem Mittag, kündigte Bundespräsident Alain Berset eine Medienkonferenz an. Das Thema wurde aber vorgängig nicht bekannt gegeben. Schnell kursierten bei den Bundeshaus-Journalist:innen die Gerüchte über einen Rücktritt. Und kurz nach 12 Uhr war es dann offiziell: Bundesrat Berset wird bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrates im Dezember nicht mehr antreten.
Und das kam doch ein wenig überraschend: Als ungeschriebene Regel gilt, dass solche Ankündigungen während den Sessionen geschehen, wenn das Parlament ebenfalls in Bern vor Ort ist. Und Usus ist auch, dass ein Rücktritt normalerweise auf die nächste Session geschieht. Für beides hatte Bundesrat Berset sogleich auch eine Erklärung: Er wollte die Abstimmung über das Covid-19-Gesetz vom vergangenen Sonntag abwarten. Für ihn schliesse sich nun der Kreis bezüglich der Pandemie, bei der er als Gesundheitsminister federführend war. Und dass er die Herbstsession überspringt, erklärte der SP-Bundesrat damit, dass er die Legislaturen habe respektieren wollen und gleichzeitig nicht wollte, während dem Sommer bei jedem Interview seine Entscheidung verheimlichen zu müssen. Er betonte auch, dass er nicht zurücktrete, sondern bei den ordentlichen Bundesratswahlen im Dezember nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Über elf Jahre war der Freiburger Sozialdemokrat im Bundesrat und damit im Moment am längsten im Gremium. Seit Januar 2012 steht er dem Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) vor und ist damit auch verantwortlich für die Gesundheits- und Altersvorsorge.
29 Abstimmungen hat er bis heute als verantwortlicher Bundesrat geführt. Besonders die Altersvorsorge war häufig Thema. In die Amtszeit von Alain Berset fallen stetig steigende Gesundheitskosten und die Corona-Pandemie, die ihn als Gesundheitsminister ab Anfang 2020 besonders forderte und ihm auch Kritik einbrachte.
Begleitet wurden die letzten Jahre auch immer wieder von kleinen und grösseren Affären. Die letzte wurde Anfang Jahr bekannt. Die “Schweiz am Wochenende” machte publik, dass Bersets früherer Kommunikationschef Peter Lauener dem Ringier-Verlag wiederholt vertrauliche Informationen zu geplanten Covid-Massnahmen zugespielt hatte. Die sogenannten “Corona-Leaks” werden immer noch untersucht, sowohl von der Bundesanwaltschaft wie auch im Parlament. Noch ist nicht bekannt, ob oder wie viel Berset über die Vorgehen seines Kommunikationschefs wusste.
Die frühe Kommunikation ihres Bundesrates dürfte auch der Partei SP dienen. In nächster Zeit und damit wenige Monate vor den nationalen Wahlen im Oktober, bleibt sie im Gespräch. Erst im September wolle die Fraktion entscheiden, welche Kriterien für eine Kandidatur gelten sollen. Die SP-Spitze lässt noch offen, ob es ein Mann aus der Deutschschweiz sein muss - was als Reaktion auf die Wahl der jurassischen Elisabeth Baume-Schneider für viele in Bundesbern eine logische Konsequenz wäre. Doch so können sämtliche Sozialdemokrat:innen fast bis zu den National- und Ständeratswahlen im Oktober mit einer Kandidatur liebäugeln.
Ebenfalls liebäugeln wollen die Grünen. Seit mehreren Jahren fordern sie einen Bundesratssitz, doch ob sie mit “friendly fire” auf die SP zielen wollen, ist noch offen. Auch offen ist die Ausgangslage nach den Wahlen. Glaubt man bisherigen Umfragen, darf die SP im Oktober mit einem relativ stabilen Ergebnis rechnen. Die Grünen könnten aber nach den grossen Gewinnen im Jahr 2019 wieder an Stimmen verlieren und damit auch den selbst erhobenen Anspruch auf einen Sitz in der Regierung.
Freispruch für Lausanner Polizisten.
Im Februar 2018 gingen sechs Lausanner Polizisten mit Tritten und Pfefferspray gegen den 39-jährigen Mike Ben Peter vor und knieten minutenlang auf ihm. Am Tag darauf verstarb dieser im Spital an einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Diese Woche ging der Prozess am Strafgericht in Lausanne gegen die Polizisten zu Ende.
Hintergrund:
Die Anklageschrift protokollierte den Polizeieinsatz auf die Minute genau: Um 22:30 Uhr sieht ein Polizist Mike Ben Peter. Er hält ihn für verdächtig, weil er sich bei einem Auto zu Boden beugt und ein Plastiksäckchen hervorholt. Der Polizist geht hin und verlangte, dass er ihm das Säckchen zeige. Ben Peter aber wollte sich nicht kontrollieren lassen und versuchte, sich langsam vom Polizisten zu entfernen, ohne dabei aggressiv oder gar gewalttätig zu wirken.
Dem Polizisten schien das langsame Entfernen aber Grund genug, dass er auf Mike Ben Peter zuging und ihm das Knie mindestens zweimal in die Genitalien rammte. Dann sprühte er ihm Pfefferspray ins Gesicht, trat ihm erneut in die Genitalien, rief Verstärkung und versuchte, dem grossgewachsenen Ben Peter Handschellen anzulegen.
Um 22:48 kommen weitere fünf Polizisten hinzu, bringen den Mann in die Bauchlage und halten ihn fest. Acht Minuten später bemerken die Polizisten, dass Mike Ben Peter bewusstlos geworden ist. Trotz des raschen Eintreffens einer Ambulanz um 23:02 verstribt Mike Ben Peter. Der Anfangsverdacht bestätigt sich später: Im Mund des Nigerianers werden Kokain-Kügelchen gefunden.
Die Staatsanwaltschaft erhob gegen die sechs Polizisten Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Das kann mit einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert werden. Zusätzlich klagte die Witwe von Mike Ben Peter in einem Zivilprozess gegen die sechs Polizisten.
Vergangenen Montag dann die Kehrtwende: Im Schlussplädoyer liess die Waadtländer Staatsanwaltschaft die Anklage fallen. Es gebe gemäss gerichtsmedizinischen Gutachten keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Festhalten des mutmasslichen Drogenhändlers in Bauchlage und den Todesursachen. Die Staatsanwaltschaft schlug sich so auf die Seite der Verteidigung und forderte vom Gericht einen Freispruch.
Die Richter:innen folgten dann am Donnerstag und sprachen die sechs Lausanner Polizisten frei. Sie verwiesen auf die medizinischen Gutachten. Das Gericht kam auch zum Schluss, dass die Polizisten nicht gegen ihre Sorgfaltspflicht verstossen hatten. In diesem Punkt wich es von der Staatsanwaltschaft ab, die der Ansicht war, dass die Polizisten Mike Ben Peter zu lange in Bauchlage festgehalten hatten.
Was jetzt passiert:
Die Urteilsverkündung führte zu heftigen Reaktionen. “Schande” oder “Komplizenschaft der Justiz” riefen einige Personen im kantonalen Gerichtssaal. Auch ausserhalb des Gerichtsgebäudes, wo sich mindestens 80 Personen versammelt hatten, wurden Buhrufe und polizeifeindliche Slogans laut.
In der Westschweiz hat das Thema der Polizeigewalt gegen dunkelhäutige Menschen wegen verschiedenen Fällen besonders viel Aufmerksamkeit erhalten. So wurde ein dunkelhäutiger Mann am 30. August 2021 am Bahnhof Morges von der Polizei erschossen. Seither ist es in Lausanne und anderen westschweizer Städten immer wieder zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt gekommen. Im Dezember 2022 kam eine Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus zum Schluss, dass Rassismus aber in der ganzen Schweiz ein Problem sei. Die Schweiz ist dafür auch vom UN-Sonderberichterstatter für Folter und von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz gerügt worden.
Weitere Meldungen der Woche in Kurzform.
Aufstand der Söldnertruppe Wagner gegen Regierung in Moskau:
Mehr als 24 Stunden hat der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, Russland und die ganze Welt mit seinem Aufstand gegen die Führung in Moskau in Atem gehalten. Eine Zusammenfassung der Geschehnisse:
Am Freitagabend veröffentlichte Prigoschin eine Mitteilung, in dem er die russische Militärführung beschuldigte, Wagner-Lager angegriffen zu haben. Er erklärte, 25’000 Soldaten unter seinem Befehl würden von der Grenze zur Ukraine in einem “Marsch der Gerechtigkeit” Richtung Moskau ziehen. Die Stunden darauf waren sehr unübersichtlich, mehrere Akteure informierten über ihre eigenen Telegram-Kanäle, die russische Nachrichtenagentur veröffentlichte Mitteilungen, welche teilweise Minuten später kommentarlos wieder gelöscht wurden. Am Samstagmorgen kündigte Wladimir Putin in einer TV-Ansprache die Bestrafung von “Verrätern” an - ohne Prigoschin beim Namen zu nennen. Für ausländische Beobachter:innen sah es danach aus, als könnte sich die Regierung in Moskau nicht zur Wehr setzen. In Rostow am Don wurde etwa ein Hauptquartier der Armee von Wagner-Soldaten umstellt. Gegen Abend meldeten russische Behörden Wagner-Söldner etwa auf halbem Weg nach Moskau. Kurz danach teilte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko überraschend mit, dass Jewgeni Prigoschin zur Aufgabe bewogen worden sei. Im Gegenzug gebe es Sicherheitsgarantien für die Angehörigen der Privatarmee. Prigoschin habe den Vormarsch nach Moskau gestoppt und die Truppen würden wieder Richtung Ukraine zurückgehen.
Etwas später teilte die Regierung in Moskau mit, dass das Strafverfahren gegen Prigoschin eingestellt wird. Der Wagner-Chef werde nach Belarus ins Exil reisen. Seit der Abreise aus Rostow am Don am Samstagabend gibt es keine neuen Audio- oder Video-Botschaften von Prigoschin in den sozialen Medien. Dies sei dem schlechten Handyempfang geschuldet, teilte seine Pressestelle mit.
Prigoschins Aufstand hat enorme Schwächen im russischen Sicherheitsapparat sowie Mängel in der Befehlskette aufgezeigt. US-Aussenminister Antony Blinken sagte gegenüber dem Sender CNN, dass man nun Risse auftauchen sehe, die vorher nicht da waren. Und ausgerechnet Alexander Lukaschenko, der seit Jahren vom Geldhahn Moskaus abhängig ist, soll es gelungen zu sein, Jewgeni Prigoschin zum Umkehren zu bewegen. Lukaschenko hat den Spiess umgedreht und Putin die Macht gesichert. Diese Machtverschiebung werde Lukaschenko bei allen kommenden Verhandlungen mit Putin zu nutzen wissen, analysierte Luzia Tschirky, Russland- und Ukrainekorrespondentin für SRF.
Die Söldner unter Jewgeni Prigoschin kämpfen gemeinsam mit Russland in der Ukraine, sind aber auch in anderen bewaffneten Konflikten für russische Interessen im Einsatz, etwa in Mali oder Aserbaidschan.
Zwei Abtreibungsinitiativen im Sammelstudium gescheitert:
Gleich zwei Initiativen zum Thema Abtreibung scheiterten an der Hürde von 100’000 benötigten Unterschriften. Beide stammen aus christlich-konservativen Kreisen und wurden auch von SVP-Exponent:innen unterstützt. Die “Einmal-darüber-schlafen-Initiative” hätte mindestens einen Tag Bedenkzeit verlangt, nachdem eine schwangere Person einen Schwangerschaftsabbruch beabsichtigt. Die "Lebensfähige-Babys-retten-Initiative" hatte zum Ziel, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr erlaubt sind, sobald das Kind ausserhalb des Mutterleibes atmen kann, wenn nötig unter Einsatz intensivmedizinischer Massnahmen.
Damit eine Volksinitiative zustande kommt, sind innerhalb von 18 Monaten 100’000 Unterschriften von Menschen, die in der Schweiz abstimmen und wählen dürfen, nötig. Die Frist für beide Volksbegehren lief vergangenen Mittwoch ab.
Einsatz gegen digitale Gewalt:
187 Betroffene von digitaler Gewalt haben sich in den letzten 12 Monaten beim Projekt #NetzAmbulanz gemeldet. 21 Strafverfahren wurden eingeleitet. Erstmals sei es auch gelungen, zwei anonyme Cyberstalker vor Gericht zu bringen. Das schreibt der Verein NetzCourage, der das Projekt betreut. Die NetzAmbulanz bietet Betroffenen von digitaler Gewalt kostenlos Unterstützung und Beratung an. Wie der Verein schreibt, waren auch im vergangenen Jahr die grosse Mehrheit der Betroffenen Frauen oder Transpersonen. Die meisten strafrechtlich relevanten Fälle, die die NetzAmbulanz zusammen mit den Betroffenen angezeigt hatte, waren Beschimpfungen, Drohungen, Nötigung, Stalking oder die unerlaubte Veröffentlichung sensibler Personendaten. Meist erfolge die Aggression aufgrund politischer Ansichten, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der Nationalität.
Die NetzAmbulanz ist die einzige Beratungsstelle für Betroffene von digitaler Gewalt in der Schweiz. Der Verein NetzCourage setzt sich dafür ein, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und schafft Öffentlichkeit im Bereich Cyberstalking.
Das war’s von uns für diese Woche und damit auch gleich für die nächste Zeit. Wir verabschieden uns bis zum 6. August in die Sommerpause. Wie jeden Sommer fährt das politische und wirtschaftliche Leben ein bisschen zurück und es gibt weniger zu berichten. Damit wir das Weekly nicht mit den abstrusesten Sommerloch-Geschichten füllen müssen, lassen wir es gleich sein :). Untätig werden wir aber sicherlich nicht bleiben. Wie bereits heute ein paar Mal gehört, erwarten uns im Herbst nationale Wahlen. Und damit wir dich auch dort bestmöglich informieren können, beginnen wir schon jetzt mit den Vorarbeiten.
Redaktionsschluss: 20:10
Weekly 25/2023
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