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Weekly, KW 42

🕐: ca. 11 Min. | 🎧: Podcast folgt

Guten Nachmittag aus der rethink-Redaktion.

Wir melden uns heute nach dem Wahlsonntag in der Schweiz in deinem Postfach. Bei uns geht es aber nicht nur um die helvetische Parlamentswahl, sondern wir werfen auch einen Blick auf die italienische Regierung, die seit genau einem Jahr im Amt ist, und stellen die Frage: Kommt es noch so schlimm wie erwartet wurde?

Schön bist Du heute mit dabei.

Der Tag nach der Wahl.

Gestern fanden die nationalen Wahlen in der Schweiz statt. Das Parlament, also National- und Ständerat, wurden neu gewählt. Kurz gesagt: Die Prognosen bewahrheiteten sich. Die rechte SVP legte im Gegensatz zu den Wahlen von vier Jahren wieder zu, die linke Grüne gab die bei der letzten Wahl gewonnen Sitze wieder ab.

Die Welt ist eine deutlich andere als bei den letzten Wahlen. Wir gingen durch eine Pandemie, Europa spürt die massiv die wirtschaftlichen Folgen der russischen Invasion in die Ukraine und der Weltfrieden schien noch nie so stark auf der Kippe wie seit langem. Die Schweizer Stimmbevölkerung wich von ihrem eingeschlagenen Weg ab, der das Parlament während der letzten Legislatur grüner, jünger und weiblicher machte und konzentriert sich wieder stärker auf die eigenen Bedürfnisse. Konservatismus und Nationalismus sind ganz gute Stichworte.

Hintergrund:
Die grosse Gewinnerin des Wahlsonntags ist die SVP. Die Volkspartei kann um 3 Prozentpunkte zulegen und kommt auf 28.6 Prozent Wähler:innenanteil. Es ist das zweitbeste Resultat ihrer Geschichte. Sie gewinnt 9 weitere Sitze im Nationalrat und steht neu bei 62.

Die Grünen verlieren 3.8 Prozentpunkte und liegen mit 9.4 Prozent nun wieder knapp unter der 10-Prozent-Schwelle. Sie geben 5 Sitze ab und halten neu deren 23. Hart trifft es die Grünliberale Partei (GLP). Sie gibt zwar nur 0.6 Prozentpunkte ab und kommt neu auf 7.2 Prozent, verliert ab ganze 6 ihrer biser 16 Sitze in der grossen Kammer.
Die FDP verliert 0,7 Prozentpunkte und kommt auf noch 14,4 Prozent Wähleranteil. Sie verliert einen Sitz und ist nun noch mit 28 Parlamentarier:innen im Nationalrat vertreten.

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Die SP profitiert von den Verlusten der Grünen, kann den Absturz der Linken aber nur geringfügig abfedern. Sie legt um 1,2 Prozentpunkte auf 18 Prozent zu. Das reicht für 41 statt 39 Sitze.
Die Mitte hingegen kann um 0,8 Prozentpunkte auf 14,6 Prozent zulegen, sie gewinnt einen Sitz dazu und zählt jetzt deren 29. Damit löst sie im Nationalrat die FDP als drittstärkste politische Kraft ab. Je nachdem, wie die Ständeratswahlen ausgehen, ist die Zusammensetzung des Bundesrates in Frage gestellt.

Die Beteiligung an der Wahl ist im Vergleich zu vor vier Jahren leicht gestiegen. Von 45.1 auf 46.6 Prozent.

In der kleinen Kammer, dem Ständerat, scheint die Ausgangslage besonders für die FDP günstig, ihr winken mehrere Sitzgewinne. Kombiniert mit den erwarteten Verlusten von Links-Grün ergibt das eine Stärkung des rechten Flügels. 15 der 46 Sitze im Ständerat sind noch offen, am 19. November kommt es zum zweiten Wahlgang, dann wird die definitive Zusammenstellung klar sein.

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Das Streiten um die Wahl.

Seit mehr als zwei Wochen hat das US-Repräsentantenhaus (vergleichbar mit dem Schweizer Nationalrat) ohne Vorsitz. Die republikanische Partei hält hier nur eine vergleichsweise kleine Mehrheit und ist deswegen auf die Stimmen einer Gruppe erzkonservativen Abgeordneten angewiesen. Diese hatten den bisherigen “Speaker” des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, am 3. Oktober gestürzt. Ein Weg zu einer Einigung auf einen neuen Vorsitzenden ist seitdem nicht erkennbar. Jim Jordan, der unter anderem von Ex-Präsident Donald Trump unterstützt wird, musste am Freitag nach drei verlorenen Wahlgängen aufgeben. Insgesamt 25 Abgeordnete aus seiner Partei stimmten gegen ihn. Mit nur 194 Stimmen für ihn verpasste Jordan die notwendige Mehrheit von 217 Voten deutlich. Denn von der demokratischen Partei konnte der rechte Hardliner keinerlei Unterstützung erwarten.

Freiwillig zog Jim Jordan seine Kandidatur letztlich jedoch nicht zurück. Es brauchte eine interne Abstimmung darüber, ob er weiterhin im Rennen bleiben soll. Er verlor dieses geheime Votum deutlich mit 86 zu 112 Stimmen. Dies gibt auch einen Hinweis darauf, wie viele republikanische Abgeordnete bei der Abstimmung auf Zuruf im Parlamentssaal einzig für Jordan stimmten, weil sie Angst hatten vor der Rache der trumpschen Wählerbasis. Die Niederlage von Jordan ist deshalb auch eine Rückschlag für Trump. Sie zeigt, dass die Republikaner nicht bereit sind, sich total dem wohl neuerlichen Präsidentschaftskandidaten zu unterwerfen.

Was jetzt passiert:
Morgen Dienstag findet erneut eine geheime Wahl innerhalb der republikanischen Fraktion statt. Wer dabei die Mehrheit gewinnt, wird von den Republikanern als Kandidat:in für das Amt des Vorsitz ins Rennen geschickt. Noch ist jedoch nicht ersichtlich, wer es schaffen könnte, die 217 Stimmen zu erreichen.

Können die Republikaner ihren internen Streit zwischen der extremen rechten und liberalen Seite nicht beilegen, bleibt ihnen noch die Suche nach einem Kompromisskandidaten mit der demokratischen Partei. Deren Fraktionsführer Hakeem Jeffries hat sich offen gezeigt, mit gemässigten Republikanern zusammenzuarbeiten. Dies aber wäre angesichts der extremen Polarisierung in den USA ein revolutionäres Ereignis.

Sollten sich die Republikaner, die eigentlich über eine knappe Mehrheit von 221 Sitzen im Repräsentantenhaus verfügen, nicht auf einen Ausweg einigen, droht am 17. November erneut eine Stilllegung der Bundesverwaltung. Bis zu diesem Datum müssen sich die Abgeordneten auf ein Haushaltsbudget einigen. Zudem hat Präsident Biden am Freitag dem Kongress ein neues Hilfspaket für Israel und die Ukraine für 105 Milliarden Dollar vorgelegt. Vor allem Kiew ist dringend auf neue Gelder angewiesen, damit die Waffenlieferungen aus den USA weitergehen können. Ohne Speaker ist die grosse Parlamentskammer jedoch handlungsunfähig.

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1 Jahr Meloni-Regierung in Italien.

Gestern vor einem Jahr übernahm das Kabinett unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Regierung Italiens. Meloni ist zum einen die erste Frau, zum anderen die erste Präsidentin mit neofaschistischen Wurzeln, zu denen sie bis heute steht. Nach ihrer Wahl vor einem Jahr galt sie für einige als gefährlichste Frau Europas. Doch sie überraschte mit einem eher gemässigten europapolitischen Kurs. Alles nur Schein? Innenpolitisch hinterliess die bisher rechteste Regierung in Rom auf jeden Fall bereits ihre Spuren.

Hintergrund:
Im September 2022 gewann Giorgia Meloni mit ihrer Fratelli d’Italia deutlich die Parlamentswahlen in Italien. Einen Monat später wurde sie Regierungschefin an der Spitze einer Drei-Parteien-Koalition. Die anderen beiden Regierungsparteien, früher mal die einflussreichsten Rechtsparteien, wurden bei der Wahl zurückgestutzt: Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega und die rechtskonservative Forza Italia des früheren viermaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi wurden nur noch Juniorpartner unter Meloni.

Während dem Wahlkampf 2022 skandierte sie diese Parole ins Publikum: “Ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby! Ja zur sexuellen Identität, nein zur Gender-Ideologie! Ja zur Kultur des Lebens. Nein zum Abgrund des Todes. Ja zur Universalität des Kreuzes. Nein zur Gewalt des Islamismus. Ja zu sicheren Grenzen. Nein zur Masseneinwanderung.”

Doch nach einem Jahr im Amt ist von diesen Sprüchen nur wenig geblieben. Zumindest wenn man von aussen auf das Land blickt. Seit ihrem Amtsantritt hat sie darauf geachtet, die Europäische Union nicht zu fest zu verärgern, obwohl sie in der Opposition stets gegen die Union und die Entscheidungsträger in Brüssel war. Auch in Bezug auf die Ukraine befürchteten viele in Europa und den USA, dass die Regierung Meloni wegen ihren Juniorpartnern Lega und Forza Italia, welche beide ihre Nähe zu Russland bekundet haben, nicht auf der Seite Kiews stehen würde. Doch stattdessen gibt sie sich staatsmännisch, behält den Kurs ihrer Vorgänger bei und sichert der Ukraine uneingeschränkte Solidarität Italiens zu. Nino Galetti von der Konrad-Adenauer-Stiftung - die der deutschen CDU-Partei nahesteht - in Rom, beurteilt Melonis Politik als “ausnehmend gemässigt”.

Innerhalb der Landesgrenzen ist ihre Politik aber weit weniger versöhnlich. So unterstützt die Regierung derzeit Pro-Life-Vereinigungen mit finanziellen Mitteln, die sich für Beratungsstellen für Frauen im Krankenhaus einsetzen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen. Was die queere Gemeinschaft betrifft, so hatte die Regierung Meloni die Anweisung erteilt, bis März 2023 keine Kinder von homosexuellen Paaren anzuerkennen. Eine umstrittene Massnahme, die vom Europäischen Parlament verurteilt wurde.

Auf die Strasse ging die LGBTQ+-Gemeinschaft auch aus Protest gegen eine Entscheidung Melonis in der Familienpolitik: Es soll nun Gefängnisstrafen geben gegen Italienerinnen und Italiener, wenn sie irgendwo auf der Welt ein Kind per Leihmutterschaft bekommen.

Eine harte Hand hat Giorgia Meloni seit ihrem Wahlsieg vor allem dann bewiesen, wenn sie unter Druck war. Vor kurzem mit ihrer Entscheidung, für Migrant:innen ohne Bleiberecht die Abschiebehaft auf 18 Monate zu verlängern und Kaution von ihnen zu verlangen. Ihren Vorschlag einer “Seeblockade” musste die Ministerpräsidentin in der Frage der Migration übers Mittelmeer zwar zurücknehmen, erschwert aber humanitäre Einsätze von internationalen Hilfsorganisationen mit einem Dekret, das vorsieht, Rettungsschiffe nach einem Einsatz einen weit entfernten Hafen zuzuweisen.

Gegenüber der deutschen Tagesschau sagte Piero Ignazi, Politikprofessor aus Bologna, dass wir von Meloni noch nicht alles gesehen hätten. Die vor einem Jahr vom Magazin “Stern” auf dem Titelbild gestellte Frage, ob Meloni die gefährlichste Frau Europa sei, beantwortet Ignazi immer noch mit Ja: “Sie bleibt es, trotz ihres freundlichen Auftretens. Man darf sich vom Anschein nicht täuschen lassen.” Zwar laufe bislang alles relativ gut, meint Ignazi, aber: “Wenn es eine Situation der Krise, der Schwierigkeiten, der Spannungen gibt, werden wir sehen, ob das, was lange Zeit ihr Wesen war, zum Vorschein kommen wird.”

Weniger ruhig dürfte es für Italien in Zukunft in Bezug auf die Finanzpolitik werden. Das hochverschuldete Land ist auf das Vertrauen der Finanzmärkte angewiesen. Doch Melonis Haushaltsentwurf für 2024 trägt die klare Handschrift der Populisten. Vor einem Jahr übernahm die Regierung Meloni den Haushaltsentwurf, dessen Rahmen noch von der Vorgängerregierung abgesteckt worden war. Das Budget erlaubte es dem Land, seine exorbitant hohe Schuldenquote in diesem Jahr auf 140.2 Prozent des Bruttoinlandproduktes leicht zu senken. In der EU in Brüssel und an den Finanzplätzen atmete man auf. Doch mit dem neuen Staatsbudget war das Verantwortungsbewusstsein vorbei. Am Herzen liegt der Drei-Parteien-Koalition heute der Konsens der italienischen Wähler. Und der ist mit mehr Staatsgeldern einfacher zu holen.

Ob Brüssel den Haushaltsentwurf absegnet, ist fraglich. In Rom spekuliert man darauf, dass die europäischen Partner in den Verhandlungen aus politischen Gründen ein Auge zudrücken werden. Denn Italien trägt die Hauptlast der Migration in die EU. So oder so: Kehrt ein Land, das unter dem Druck der Refinanzierung von 2859 Milliarden Euro Schulden ächzt, von seinem Versprechen ab, gehen weltweit die Alarmsirenen los. Wie Giorgia Meloni mit ihrem nachgeschärftem Populismus Italien in Zukunft regieren wird, wird sich zeigen müssen.


Redaktionsschluss: Montag um 15:00
Weekly 42/2023

Headerbild von Milad Fakurian auf Unsplash

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