Weekly, KW 02
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion und herzlich willkommen im Jahr 2024.
Eine aktuelle Auswertung der Universität Zürich zeigt: 43 Prozent der Schweizer Bevölkerung informieren sich weniger über News als der Durchschnitt. Das Forschungszentrum für Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG), das jährlich den Medienkonsum auswertet, kommt zum Schluss, dass die Zahl sogenannter News-Deprivierter stetig steigt. Und gemäss dem âDigital News Reportâ der Universität Oxford gaben 33 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer an, dass sie manchmal oder sogar oft aktiv Nachrichten vermeiden.
Nachrichten über Tote und Verletzte infolge von Naturkatastrophen, Bilder von terroristischen Gräueltaten und Kriegen - die Informationen prasseln rund um die Uhr auf uns ein. Wir erfahren ohne Pause, was in der Welt passiert. Das kann auf die Stimmung schlagen. Und eben auch dazu führen, dass gar keine Nachrichten mehr konsumiert werden.
Das Ziel des Weekly und mir persönlich war es immer, diese Flut aus News zu filtern, zu reduzieren und einzuordnen. Und dir dann am Sonntag eine verträgliche Dosis per Newsletter oder Podcast zu präsentieren.
Diese Idee funktionierte während fast zwei Jahren mehr oder weniger verlässlich. Sie hatte aber einen grossen Schwachpunkt: Um dir eine wohldosierte Portion Nachrichten zubereiten zu können, bedeutete, dass ich pro Woche mehrere Stunden Nachrichten konsumierte. Denn wer zusammenfassen will, muss zuerst sehr viel wissen. Im Herbst begann das Konstrukt Weekly zu bröckeln. Jede Woche fiel es mir schwerer, Zeit und Energie für die Nachrichten aufzuwenden. Gelinde gesagt: Scheisse ist es immer und überall, wie also soll ich die Geschehnisse sortieren? Im Dezember fand der UN-Klimagipfel statt. Jedes Jahr ist dieses Treffen ein Bestandteil des Weekly: Was wurde entschieden, welche Region will vorwärts machen, welche Regierungen bremsen? Kommt eine Abschlusserklärung zustande? Dieses Mal? Dachte ich mir, es passiert sowieso nicht genug, warum also darüber berichten.
Im Dezember zog ich einen Schlussstrich. Ich versuchte es gar nicht erst, unter der Woche up-to-date zu bleiben und mich zu einem Weekly zu motivieren. Ich liess die Nachrichten, das Weekly und damit auch dich, links liegen und konzentrierte mich auf andere Sachen. Dafür bitte ich um Entschuldigung.
Nun ist ein neues Jahr angebrochen, spannende, private Entscheidungen sind bereits gefallen und nach einigen Wochen News-Isolation ist wieder ein Funke Interesse zu spüren. Interesse, das Weltgeschehen zu verfolgen, aktiv Berichte zu lesen und zu entscheiden, welche Themen ich weiter verfolge. Dass dieser Funke es geschafft hat, ein kleines Feuer zu entfachen, siehst du darin, dass es diese Zeilen zu lesen gibt.
Mir ist bewusst, dass du diesen Newsletter oder diese Podcast-Folge nicht für meine persönlichen Berichte abonniert hast. Mir ist aber auch bewusst, dass ich nach zwei Monaten Abwesenheit nicht einfach frisch fröhlich weiter machen kann. Und wie es weiter geht, weiss ich ehrlich gesagt auch noch nicht. Vielleicht ändert sich das Format, vielleicht ändert sich der Rhythmus, vielleicht hörst oder liest du vermehrt von anderen Personen als bisher.
Auf jeden Fall bin ich froh, dich mit im Boot zu haben. Und damit gehen wir nun zu dem, was dieses Weekly eigentlich ausmacht: Die wichtigsten Nachrichten der Woche:
100 Tage Gaza-Krieg.
Heute Sonntag ist der 100. Tag im Krieg zwischen dem Staat Israel und der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen. Ein Massaker der Hamas im Süden Israels mit 1â200 Toten sowie die Verschleppung von Zivilisten und Soldatinnen in den Gazastreifen hatten am 7. Oktober den aktuellen Gaza-Krieg ausgelöst. Israels Militär geht seitdem mit Luftangriffen und einer Bodenoffensive gegen die Hamas vor. Noch über 100 israelische Geiseln befinden sich in der Gewalt der Hamas.
Gestern Abend sprach sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für eine Fortführung der Offensive im Gazastreifen aus. âNiemand wird uns aufhaltenâ, sagte Netanjahu bei einer Pressekonferenz: âEs ist möglich und notwendig, bis zum Sieg weiterzumachen und das werden wir tunâ.
Der Staat Israel, seine Streitkräfte und Sicherheitsdienste führten einen âmoralischen und gerechten Krieg, der seinesgleichen sucht, gegen die Hamas-Monster, die neuen Nazisâ, sagte der innenpolitisch unter Druck stehende Regierungschef gestern. Derweil forderten mehrere tausend Menschen bei einer Demonstration in Tel Aviv und anderen israelischen Städten den Rücktritt von Netanjahu. Redner der Kundgebung werfen seiner Regierung vor, nicht genügend zu tun, um die verschleppten Geiseln wieder nach Hause zu bringen.
Israel erwägt offenbar, einen Armeeeinsatz unmittelbar an der Grenzen des Gazastreifens zu Ägypten. Die US-Zeitschrift âWall Street Journalâ schreibt, offizielle Stellen hätten Kairo darüber informiert. Ein solcher Einsatz gilt als äusserst heikel, weil sich in Rafah und Umgebung hunderttausende Zivilist:innen aufhalten.
Südafrika gegen Israel:
Am Donnerstag wurde im Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag die erste Anhörung zu einer hochumstrittenen Frage im Nahostkonflikt abgehalten: Begeht Israel mit seinen Kriegshandlungen in Gaza Völkermord? Diesen Vorwurf hat Südafrika, das sich aufgrund seiner Apartheidgeschichte den Palästinensern verbunden fühlt, Ende Dezember in einer 84-seitigen Klageschrift erhoben. Demnach würden «die Handlungen und Unterlassungen Israels» auf die «Vernichtung» der Palästinenserinnen in Gaza abzielen. Untermauern sollen diesen Vorwurf eine lange Reihe von Statements von Politikern und Befehlshabern der israelischen Armee. Israel widerspricht dem Genozidvorwurf vehement.
Der Straftatbestand Völkermord gilt als der schwerwiegendste im internationalen Völkerrecht. Im Unterschied zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzt Genozid die Absicht voraus, etwa eine ethnische oder religiöse Gruppe teilweise oder ganz zu zerstören. Dabei kann gemäss der UNO-Völkermordkonvention nicht nur die Verursachung von körperlichen, sondern auch jene von seelischen Schäden den Straftatbestand erfüllen. Bis das Gericht die Klage von Südafrika inhaltlich beurteilt hat, wird es voraussichtlich noch Jahre dauern. Kurzfristig möchte Südafrika mit seiner Klage erreichen, dass das Gericht Israel verpflichtet, alle Kampfhandlungen für die Dauer des Verfahrens einzustellen.
Der Westen gegen die Huthi-Rebellen:
In der Nacht auf Freitag starteten die USA und Grossbritannien einen umfassenden Militärschlag gegen die Huthi-Rebellen in Jemen. Diese greifen seit einiger Zeit Schiffe im Roten Meer an, die israelische Häfen anlaufen wollen. Die Angriffe führten bei einigen Reedereien dazu, dass sie sich für die längere Schiffsroute rund um Afrika entschieden, statt durch den Suezkanal und damit durch das Rote Meer.
Der britische Aussenminister David Cameron hat die Militärschläge gegen die Huthi-Rebellen in Jemen verteidigt. Es sei richtig gewesen, dass man gehandelt habe, um eine wichtige Schifffahrtsroute offen zu halten, schrieb Cameron in einem Beitrag im «Sunday Telegraph». Seit dem 19. November habe es 26 Angriffe auf den Schiffsverkehr im Roten Meer gegeben. Wenn man in dieser Situation nicht handle, akzeptiere man, dass die Huthis diese Schiffsroute mit ihren Angriffen praktisch nahezu ungestraft lahmlegen könnten.
Dies gefährde wichtige Lieferketten und treibe weltweit Preise in die Höhe, führte Cameron aus. Militärische Massnahmen sollten immer das letzte Mittel sein, und sie seien es in diesem Fall gewesen.
Zuvor hatten die USA im UNO-Sicherheitsrat die Rechtmässigkeit ihrer Angriffe auf die Huthi-Rebellen in Jemen gegen Vorwürfe von Russland und China verteidigt.
Die Angriffe stünden im Einklang mit dem Völkerrecht und der UNO-Charta, sagte US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield. Ziel der Militäraktion sei es gewesen, die Huthi daran zu hindern, ihre rücksichtslosen Angriffe im Roten Meer gegen Handelsschiffe fortzusetzen.
Taiwan wählt für Unabhängigkeit.
Gestern Samstag fanden im ostasiatischen Inselstaat Taiwan Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Dabei errang William Lai von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DDP) rund 40 Prozent der Stimmen.
Das angespannte Verhältnis zu China war ein bestimmendes Wahlkampfthema in dem Land mit mehr als 23 Millionen Einwohner:innen. Die Kommunistische Partei in Peking zählt Taiwan zum Territorium Chinas, obwohl sie die Insel im Indopazifik bislang nie regierte und Taiwan seit Jahrzehnten eine unabhängige, demokratisch gewählte Regierung hat.
Die Oppositionspartei, welche gute Kontakte zur Kommunistischen Partei auf Festlandchina unterhält, präsentierte sich im Wahlkampf als die Partei, welche die schlechten Beziehungen zu China wieder kitten kann. Eine Entspannung wünschen sich zwar viele, doch zahlreichen Taiwanerinnen und Taiwanern sind genau die guten Beziehungen der Opposition zu China suspekt. Eine Wahl der Opposition ist für sie ein erster Schritt zur Vereinigung mit China.
Das Wahlergebnis ist also ein Entscheid über die Beziehungen zu China und es zeigt somit auch, dass Chinas Bemühungen, die Insel näher ans Festland zu führen, um sie dereinst mit der kommunistischen Volksrepublik vereinen zu können, nicht fruchten.
Ein Lichtblick für Peking dürfte sein, dass das Wahlvolk mehr Oppositions-Kandidaten ins Parlament gewählt hat. Dort wird sie stärkste Kraft. So bleibt für China zumindest noch dieser Weg, die taiwanesische Politik im Sinne Chinas zu beeinflussen. Denn mit militärischen Drohungen, Warnungen und wirtschaftlichen Strafaktionen war China bisher nicht erfolgreich. Welche Ansätze Peking nun wählen wird, interessiert nicht nur Taiwan, sondern auch den Rest der Welt. Denn eine Eskalation zwischen Peking und Taipeh würde man rasch rund um den Globus zu spüren kriegen.
Gambias ehemaliger Innenminister in Bellinzona vor Gericht.
Am Montag startete am Bundesstrafgericht in Bellinzona ein besonderes Verfahren. Der ehemalige Innenminister von Gambia, Ousman Sonko, muss sich vor Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten, die er zwischen 2000 und 2016 unter dem damaligen Präsidenten Yahya Jammeh begangen haben soll. Ousman Sonko war von 2006 bis 2016 Innenminister in Gambia. 2016 floh er aus dem Land, kurz bevor der damalige Präsident Jammeh die Macht abgeben musste. Er ersuchte in der Schweiz Asyl und wurde verhaftet, nachdem Nichtregierungsorganisationen, insbesondere die Genfer Organisation TRIAL International, Beweise für seine mutmassliche Beteiligung an Mord, Vergewaltigung und Folter vorgelegt hatten. Im Januar 2017 wurde er nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit in der Schweiz festgenommen und durch die Bundesanwaltschaft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Ousman Sonko soll laut Anklageschrift Regimekritiker widerrechtlich inhaftiert, gefoltert und einige sogar getötet haben, um die Opposition einzuschüchtern und Putschversuche zu unterbinden. Sonko soll diese Taten nicht nur als Chef zu verantworten haben, sondern teils selbst Hand angelegt haben. So soll er beispielsweise zusammen mit von ihm angeführten Soldaten einen Mann erschossen haben, weil er ihn verdächtigte, einen Putsch zu planen. Anschliessend soll er über fast zwei Jahre hinweg regelmässig die Witwe des Ermordeten aufgesucht und vergewaltigt haben. Sonko bestreitet die Vorwü rfe, es gilt die Unschuldsvermutung.
Das Weltrechtsprinzip:
Normalerweise kann ein Staat jemanden nur dann strafrechtlich verfolgen, wenn die Tat entweder im eigenen Staatsgebiet begangen wurde oder wenn die Täterschaft oder das Opfer eigene Staatsbürger:innen sind. Das Weltrechtsprinzip, manche sprechen auch von âuniverseller Gerichtsbarkeitâ, macht hier eine Ausnahme. Gewisse Verbrechen, etwa Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Folter, sind so schwerwiegend, dass sie eine Rechtsverletzung gegenüber der gesamten internationalen Gesellschaft darstellen. Diese Taten können deshalb auch von Drittstaaten verfolgt werden, die keinen Bezug zum Täter oder zur Täterin, zum Opfer oder zum Tatort haben. Die Schweiz hat die strafrechtliche Grundlage für die Verfolgung dieser Verbrechen im Jahr 2011 ins Strafgesetzbuch geschrieben. Nach dem Prozess gegen den liberianischen Ex-Kommandanten Alieu Kosiah, der im Juni 2023 zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist das Sonko-Verfahren erst das zweite, das in der Schweiz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt wird. Es ist zudem das erste Mal in Europa, dass ein so hoher Amtsträger sich aufgrund des Weltrechtsprinzips vor Gericht verantworten muss.
Was jetzt passiert:
Der Prozess in Bellinzona dauert voraussichtlich bis Ende Januar. Das Bundesstrafgericht hat aber noch einige Reservetage im März eingeplant. Und der Entscheid der Strafkammer kann natürlich noch angefochten werden. Bis es ein rechtskräftiges Urteil gibt, dauert es also noch eine Weile.
Redaktionsschluss: 17:30
Weekly 02/2024
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