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Wildtiere wieder in die Wildnis

Bild: unsplash.com

Ein Schweizer Verein will Wisente, die grössten noch lebenden Wildtiere Europas, in der Wildnis aussetzen. Dabei können sie zwar auf positive Erfahrungen aus dem Ausland zählen, sehen sich aber auch mit Schwierigkeiten konfrontiert.

Ein Beispiel aus dem Yellowstone Nationalpark in den Vereinigten Staaten zeigt eindrücklich, welchen Einfluss wiederangesiedelte Tierarten auf das Ökosystem haben: Nachdem der Wolf vor einem halben Jahrhundert ausgerottet wurde, geriet die Natur im Park komplett aus den Fugen. Als dieser jedoch wieder angesiedelt wurde und mehrere Wolfsrudel unterwegs waren, regulierten diese den Wildbestand in den Wäldern. Da nun weniger Rehe im Park lebten, wurden auch weniger Bäume und Äste abgefressen. Zum Beispiel erholte sich die Baumart Espe wieder, deren Jungbäume bis dahin vollständig vom Wild verspeist wurde.

Schliesslich kehrte auch der Espen-Fan Bieber in den Park zurück und gestaltete mit seinem Dammbau ganze Moorlandschaften neu. Durch diese neu entstandenen Wasserbecken fühlten sich auch wieder mehr Vögel, Fische und Amphibien zuhause.

Wisent in Europa

Bis ins frühe Mittelalter waren Wisent Gruppen in ganz Europa unterwegs. Die Tiere, die rund drei Meter lang und bis zu einer Tonne schwer werden, streiften damals in Gruppen von bis zu 20 Tieren durch die Wälder Europas. Bis die Menschen im Mittelalter begannen, die Tiere wegen ihrem Fleisch zu jagen. 1927 wurde das für lange Zeit letzte freilebende Tier im Kaukasus geschossen.

Alle Tiere die heute Leben, stammen von zwölf Wisenten ab, die in Gefangenschaft überlebt haben. Diese nahe genetische Verwandtschaft ist eine Gefahr für die aktuell lebenden Tiere. Damit keine Inzucht entsteht, müssen die Bullen zwischen den Herden und Auswilderungsprojekten koordiniert werden. Und von diesen gibt es mittlerweile einige in Europa. 1952 wurden im polnischen Białowieża die ersten Tiere ausgewildert. 2013 startete Deutschland im Rothaargebirge die Auswilderung einer 8-köpfigen Herde. Diese war bereits seit 2010 in einem eingezäunten Gebiet unterwegs, bevor die Grenzen komplett aufgehoben wurden.

Schweizer Auswilderungsprojekt

Die Gruppe «Wisent Thal» möchte im Jura ein ähnliches Projekt beginnen. Auch dieses sieht vor, dass die Tiere zuerst in einem eingezäunten Bereich leben, dieser wird nach zwei Jahren von circa 50 Hektar auf 100 Hektar verdoppelt. In dieser zweiten Phase wird der Wald forstwirtschaftlich und auch jagdlich genutzt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das gemeinsame Zusammenleben mit Menschen und Wisent funktioniert.

Im dritten Schritt werden die Zäune abgebaut, und die Herde kann sich frei im Wald bewegen. Die Projektverantwortlichen gehen davon aus, dass die Tiere den Wald nicht gross verlassen werden, da dieser ihren Bedürfnissen am Besten entspricht. Um gleichzeitig die Bevölkerung auf die neuen Waldbewohner zu sensibilisieren, wird das Gehege aus der ersten Phase in ein Schaugehege mit einer zweiten Wisent-Gruppe umgenutzt. So können Besucher die Tiere besser sehen als im weitläufigen Wald. Ausserdem finanziert das Schaugehege einen Teil des Auswilderungsprojekt, dessen Kosten auf mehr als drei Millionen Franken geschätzt werden.

Während den zehn Jahren, die das Projekt läuft, gehören die Tiere weiterhin dem Verein, Schäden durch die Wisente werden abgegolten und es wird untersucht, wo sich die Tiere aufhalten, und welche Mittel bestehen um sie von allfälligen Bereichen wie Landwirtschaftszonen oder Häusern fernzuhalten.

Lage des Auswilderungsgeheges in der Phase I (violett), Phase II (rot) und vermutetes Streifgebiet der Testherde nach Entfernen des Zaunes in der Phase III (geplanter Perimeter gelb).
Bild: wisent-thal.ch

Erfahrungen aus dem Ausland

Da bereits einige langfristige Projekte bestehen, sind auch Erfahrungen diesbezüglich vorhanden. Im Gebirge Monts Tarcu in Rumänien leben seit 2014 wildlebende Wisente. Auf einem Gebiet, das mittlerweile weit weg von der Zivilisation ist, da die Bevölkerung weg aus dem Wald in Dörfer und Städte gezogen ist.

Auch im Rothaargebirge leben 20 Tiere ohne Gehege im Wald. Diese Tiere sind jedoch näher beim Menschen, es gab bereits mehrere Unfälle mit Autos auf Landstrassen. Sogar der deutsche Bundesgerichthof musste sich mit den Tieren beschäftigen. Waldbauer, deren Buchen von den Wisenten angeknabbert und die Rinde abgeschält wurde, verklagten den Wisent-Verein, damit er die Tiere aus ihren Wäldern fernhält. Diese Schälschäden zerstören die Bäume zwar nicht direkt, sie sind aber anfälliger für Schädlinge und Krankheiten. Und obwohl die Waldbesitzer von Beginn weg finanziell entschädigt wurden, sind viele bis heute nicht gut auf die grossen Waldbewohner zu sprechen.

Wisente im deutschen Rothaargebirge

Biodiversität neu gedacht

Nicht nur der Yellowstone Nationalpark machte positive Erfahrungen mit dem Aussetzen von Wildtieren. Auch Parks in Europa, wie der Oostvaardersplassen in den Niederlanden, blühte dank dem «Rewilding» auf. Kurz nach der Eröffnung des sogenannten «Naturentwicklungsgebiet» überwucherte Schilf das ganze Gelände. Franz Vera, der als einer der revolutionärsten Forscher im Thema Rewilding gilt, erforschte damals das Leben der Gänse im Park. Er stellte fest, dass diese ein Unmenge an Schilf frassen und dadurch das Überwuchern der Gräser verhinderten. Und das war eine ganz neue Erkenntnis. Denn der Biologe lernte an der Universität, dass Pflanzenfresser keinen grossen Einfluss auf die Landschaft haben. «Es hiess, dass Europa vor dem Menschen und dessen Land- und Forstwirtschaft aus einem einzigen Stück Wald bestanden habe. Die Graugänse steuerten jedoch das Wachstum der Gräser und definierten dadurch eine ganze Landschaft.», wie der niederländische Biologe in der SRF-Sendung Einstein sagte.

Um den Einfluss anderer Tiere zu testen, setzte er unterschiedlich grosse Pflanzenfresser aus: 40 Hirsche, 30 Pferde, 32 Rinder.
Schnell wurde klar, die unterschiedlichen Tiere können hervorragend im gleichen Lebensraum überleben. Denn die Pferde fressen kürzeres Gras als die Rinder, und die wiederum andere Pflanzen als die Hirsche. Mittlerweile leben über 5'000 Pflanzenfresser im Park. Und nicht der Mensch kontrolliert mit der Jagd die Bestände, sondern Wind und Wetter. In harten Wintern kann sich der Bestand um bis zu 60 Prozent reduzieren. Eine Dynamik, die auch die Pflanzen, Insekten und Vögel beeinflusst. Denn diese sind abhängig von den grossen Säugetieren. Einige Arten wuchern, verschwinden auf einmal und tauchen danach wieder auf.

Der Mensch weiss mittlerweile, dass mit Naturschutz nicht gemeint ist, mit dem Bagger perfekte Bedingungen für eine vom Aussterben bedrohte Tierart zu erstellen. Durch den so entstandenen Lebensraum mag zwar diese Art erhalten bleiben, aber für etliche andere Arten ist es nicht optimal.

Wissenschaftler haben verstanden, dass es bei der Biodiversität nicht um einzelne Arten geht. Es geht um Gene, um Ökosystem, Prozesse und Zusammenhänge. Der Klimawandel hat die Lebensräume verändert. Die Wiederansiedelung von wilden Tieren kann heutzutage nur gelingen, wenn man all dies in Betracht zieht. Und nicht nur die eine Art erhalten will.

Und dort soll auch die Auswilderung von Wisenten ansetzen. Diese Tiere sind in der Lage, hartes Futter wie Sträucher und Zweige zu verdauen und halten deshalb Lichtungen frei, die für Insekten, Vögel aber auch Jungpflanzen wichtig sind. Klar ist: Wisente allein retten die Natur nicht. Aber sie sind ein Anfang. Es braucht aber auch wieder Wölfe, Bären und Luchse in unserer Natur. Und wir müssen der Natur mehr Spielraum geben. Denn diese regelt sich selbst wesentlich besser, als der Mensch dies tun kann.


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Mit Informationen von
SRF Einstein
wisent-thal.ch
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