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Sind wir inkonsequent? Und wie!

Wir sind widersprüchlich. Wir stören uns daran, dass Früchte aus der ganzen Welt in unseren Läden landen, kaufen dann aber trotzdem die Mango aus Südamerika, wenn sie Aktion ist.
Wir finden es fürchterlich, dass die Strassen immer verstopft sind, erkennen aber nicht, dass wir genauso zu den Verursachern gehören. Eltern sagen, dass sie ihre Kinder mit dem SUV in die Schule fahren müssen, weil der Verkehr auf dem Schulweg so gefährlich ist. Und wir essen saisonale Produkte, fliegen im Sommer aber auf Bali in die Ferien.

Man gönnt sich ja sonst nichts.

2016 veröffentlichte ein Team um den Schweizer Politologe Michael Hermann die Studie «Sie wollen beides – Lebensentwürfe zwischen Wunsch und Wirklichkeit». Die zeigt deutlich, wie die Schweizer Bevölkerung gerne Beides hat.

Persönliche Freiheit, aber trotzdem Sicherheit. Familie, aber keine Abstriche bei der Karriere machen müssen. In der Natur wohnen, aber trotzdem mit dem Auto zur Arbeit in die Stadt pendeln.

 

Das Land ist Sehnsuchtsort der Schweizer. 64 Prozent können sich vorstellen, auf dem Land zu wohnen. Nur 25 Prozent wollen aber in einer Grossstadt leben. Das ist eine grosse Herausforderung für die Schweiz. Denn zusätzlich zum Wunsch vom ländlichen Wohnen, sehen 55 Prozent der Befragten das Einfamilienhaus als wünschenswerten Wohnungstyp. Was zur Folge hat, dass unser Land immer weiter zersiedelt wird, und landwirtschaftlicher Boden für Wohnungsraum zur Verfügung gestellt wird.
Auf der anderen Seite sind Hochhäuser eine der effektivsten und in der Schweiz auch eine der sinnvollsten Bauform. 
Doch hier ist das Verhältnis umgedreht. In diesem Wohnungstyp wohnen mindestens dreimal so viele, wie dort eigentlich gerne leben würden. Und: In der Grossstadt gehen Wunsch und Wirklichkeit am meisten auseinander. 64 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der grossen Städten leben nicht im Wohnungstyp, in dem sie am liebsten leben würden.

Die Studie titelt hart: «Treue wird erwartet, jedoch nicht immer gelebt». Sind die Schweizer wirklich so? Tatsächlich geben 2 von 3 erwachsenen Personen an, sie erwarten von ihrer Partnerin oder ihrem Partner absolute Treue. Dagegen gibt aber nur etwas weniger als die Hälfte an, sich selber daran zu halten. Hier zeigt sich ein typisches Beispiel für Schweizer: Die mit der Treue verbundene Sicherheit und Geborgenheit wird von einer grossen Mehrheit gerne in Anspruch genommen, die damit verbundenen Einschränkungen der eigenen Freiheit aber von weniger als der Hälfte akzeptiert.

Du machst es doch auch. Zugegeben, wir alle tun es. Der Schweizer legt pro Jahr durchschnittlich 9000 Kilometer mit dem Flugzeug zurück. Und: In den letzten Jahren sind diese Zahlen immer weiter gestiegen. Und falls wir absichtlich aufs Fliegen verzichten, ist meistens der wichtigste Grund für den Verzicht nicht Umweltbedenken, sondern die Angst vor Terror.

Wie eine Umfrage von SRF3 in der Sendung Input am Flughafen Zürich zeigt, sind Herr und Frau Schweizer auch beim Ferien machen alles anders als konsequent. Eine Gruppe Jugendliche, die auf Ibiza in die Ferien fliegt, reagiert gelassen als sie auf Umweltverschmutzung durch das Flugzeug angesprochen werden. Die Antwort einer jungen Dame: «Wir sind ja schliesslich noch jung und wollen einfach unseren Spass haben. Zur Umwelt können wir noch schauen, wenn wir älter sind.»

Allerdings haben auch ältere Personen spannende «Ausreden». Ein Herr hat kein Problem damit, dass er quer über den Erdball fliegt. Denn schliesslich benütze er sons privat nur ein kleines Auto, das wenig Treibstoff verbraucht. All diese Aussagen sind für Bernadette Sütterlin, Professorin an der ETH Zürich, nichts Neues. Sie hat eine repräsentative Studie zum Thema Umweltbewusstsein durchgeführt. Für sie ist klar: Wir tendieren zu einer moralischen Rechtfertigung. Das heisst: Ich recycle den Abfall, kaufe saisonal ein aber dafür darf ich dann auch weiter weg in die Ferien. Bernadette Sütterlin erklärt diese Rechtfertigungstendenz folgendermassen: «Es ist wie Umweltfreundlichkeitskonto und dann kann man sich Kredit erkaufen, in dem man sich umweltfreundlich verhaltet und danach bei einer gewissen Menge auf dem Konto diesen Kredit investieren kann. Zum Beispiel in ein Umweltunfreundliches Verhalten, wie Fliegen. Wir versuchen also, dieses Konto immer ein bisschen in Balance zu halten.»

Ich fühle mich ertappt. Irgendwann, als es darum ging, mit dem Zug oder mit dem Flugzeug in die Ferien zu gehen, machte ich genau die gleiche Überlegung wie viele Andere auch. Ich redete mir ein, mein Umweltschädliches Verhalten mit dem Velo fahren zu kompensieren. Was totaler Schwachsinn ist.

Falls du nun irgendwann vor solchen Entscheidungen stehen solltest, denke daran: Dein Umweltfreundlichkeitskonto existiert nicht, flieg einfach nicht weg. Auch wenn du kein Fleisch isst, saisonal einkaufst, Kleider aus Europa trägst, einen Kühlschrank der Kategorie A+++ hast und in der Schweiz nur mit dem Rad und dem öffentlichen Verkehr unterwegs bist. Stelle dir das nächste Mal doch vor, dass du mit der Energie, die ein Flug nach Ibiza braucht, 20'000 Stunden fernsehen kannst.

Und denke doch nebenbei auch mal daran, ein bisschen konsequenter zu sein, ich versuche es auch... :)


Mit Material von SRF3
Alle Bilder von pexels.com
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