Kenne deinen Status!
Alle sechs Monate einen Test auf Geschlechtskrankheiten machen. Für unseren Autor gehört das zum Leben. Jedoch ist das lange nicht für alle Menschen ein so aktuelles Thema wie für ihn. Ein Text über Unterschiede beim Dating, HIV, Aids und die Wichtigkeit von Tests.
Es ist ein kleiner Unterschied. Und doch sagt er allein schon viel aus. Vergleicht man die beiden Dating-Apps “Tinder” und “Grindr”, wird offensichtlich, wie unterschiedlich die Einstellung von Hetero- und Homosexuellen zum Thema Geschlechtskrankheiten ist. Grindr, eine der beliebtesten Apps für Männer, die Männer daten, bietet die Möglichkeit an, seinen HIV-Status direkt im Profil anzuzeigen. Und nicht nur das: Auch wann der letzte Test gemacht wurde und wann die App einen an den Nächsten erinnern soll.
Eine solche Funktion sucht man auf Tinder, der mit Abstand beliebtesten Dating Plattform für heterosexuelle Menschen, vergebens. Aber ist das überhaupt nötig?
Die Unterschiede der beiden Plattformen liegen tiefer als nur diese eine Funktion.
Sie liegen schlussendlich beim Verhalten der Nutzer_innen. Für Homosexuelle, oder allgemeiner: Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), ist HIV und eine mögliche Infektion allgegenwärtig. Das HI-Virus wurde in den 1980er-Jahren das erste Mal entdeckt und breitete sich geraden in der schwulen Community rasch aus. Viele Männer verzichteten auf eine Verhütung– eine Schwangerschaft drohte ja nicht.
HIV wurde dann auch schnell «Schwulenpest» genannt und die schwule Community leidet noch heute unter dem Stigma.
Für viele Menschen stehen bei sexuellem Kontakt nicht ein Virus und lebensgefährliche Krankheit im Zentrum. Bei Männern, die Sex mit Männern haben, ist es zumindest immer im Hinterkopf. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie in ihrem Datingprofil ihren HIV-Status angeben. Denn nur wer seinen Status kennt, kann auch entsprechend reagieren.
Wie für unseren Autor ist es für viele schwule Männer üblich, sich regelmässig testen zu lassen. Und hier sind wir wieder bei der «Schwulenpest». Viele heterosexuell lebende Menschen sehen keine Notwendigkeit regelmässige HIV-Tests zu machen.
Denn: «Es betrifft mich ja nicht.»
Der rasante Anstieg an HIV-Infektionen weltweit führte schlussendlich dazu, dass die Werbetrommel für Kondome gerührt wurde. In der Schweiz führte der Bund die Kampagne “Stop Aids” ein. Diese provoziert Konservative noch heute mit ihren Plakatmotiven.
Die Wirkung ist jedoch erfreulich. Seit Jahren nehmen die Neuinfektionen mit HIV alljährlich ab. Die meisten werden weiterhin in der Gruppe der MSM verzeichnet. Aber der Anteil sinkt jährlich.
Wie jedes Virus macht auch das HI-Virus keinen Unterschied, wer infiziert werden kann.
Zahlen in der Schweiz
Im Jahr 2019 — die am aktuellsten momentan verfügbaren Zahlen — hatten sich 421 Menschen neu mit HIV infiziert. Zum dritten Mal wurden damit Neuinfektionen unter der 500-Marke erreicht, wie das Bundesamt für Gesundheit in seiner Übersicht schreibt. In den 1990er Jahren lag die jährliche Infektionsrate im Durchschnitt bei 1’300 Fällen.
Insgesamt leben in der Schweiz rund 17’000 Menschen mit HIV. Weltweit sind es gemäss UNAIDS, dem Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids, knapp 38 Millionen Menschen.
Wie in den Vorjahren wurde gemäss BAG für Männer mit HIV-Diagnose am häufigsten Sex mit anderen Männern als Ansteckungsweg genannt (49.1%, 164 Neudiagnosen). An zweiter Stelle folgten bei den Männern heterosexuelle Kontakte (24.0%). Bei fast einem Viertel der HIV-Diagnosen bei Männern konnte der Ansteckungsweg nicht ermittelt werden.
Frauen mit HIV-Diagnose im Jahr 2019 steckten sich ähnlich wie in den Vorjahren hauptsächlich auf heterosexuellem Weg an (80.7%). In 4.5% der Fälle wurde Drogeninjektion als Ansteckungsweg angegeben, und in zwei Fällen soll die Infektion beim Tattoo stechen in einem asiatischen Land stattgefunden haben.
Sexuelle Übertragungen durch Sex zwischen Frauen wurden dem BAG nicht gemeldet.
Noch immer infizieren sich also am meisten Männer, die Sex mit anderen Männern haben, mit dem HI-Virus. Doch ist dies längst nicht die einzige Ansteckungsmöglichkeit, und sollte auch allen anderen Menschen dazu dienen, sich Gedanken über eine Infektion zu machen.
Doch was ist das HI-Virus genau, und was ist der Unterschied?
Das Humane Immundefizienz-Virus, auch HIV und HI-Virus abgekürzt, ist ein behülltes Virus und gehört zur Familie der Retroviren. Eine unbehandelte HIV-Infektion führt nach einer langen, meist auch mehrjährigen symptomfreien Phase in der Regel zu AIDS.
Übertragen wird das HI-Virus durch Kontakt mit den Körperflüssigkeiten Blut, Sperma, Vaginalsekret sowie Muttermilch. Als potenzielle Eintrittspforten gelten frische, noch blutende Wunden und Schleimhäute wie auch leicht verletzliche Stelle an der Aussenhaut (Eichel, Anus etc.). Der häufigste Infektionsweg ist Vaginal- oder Analverkehr ohne Verwendung von Kondomen.
Oralverkehr ist grundsätzlich sicher, da die Mundschleimhaut als sehr stabil gilt.
AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome = erworbenes Immunschwächesyndrom) ist die Spätfolge einer Infektion mit HIV. Bei einer Immunschwäche ist die Abwehrfähigkeit des Körpers gegenüber Krankheitserregern vermindert.
Unbehandelt durchläuft die HIV-Infektion von der Ansteckung mit dem HI-Virus bis zum Ausbruch von Aids drei Stadien. Die Dauer dieser Stadien ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Deshalb variiert die Zeit, in der HIV-Positive beschwerdefrei leben können stark: von wenigen Monaten bis über fünfzehn Jahre. Je später eine Infektion diagnostiziert wird, desto grösser fallen die möglichen Gesundheitsschäden an.
Ich will es genau wissen: Das sind die Stadien einer Aids-Erkrankung:
1. Primoinfektion
Innerhalb der ersten Wochen nach einer Ansteckung mit HIV steigt die Virenlast im Körper schnell an. In dieser Phase kann deshalb das HI-Virus besonders leicht auf Sexualpartnerinnen und -partner übertragen werden.
In dieser Zeit treten oft Symptome wie bei einer Erkältung oder einer leichten Grippe auf: Fieber, Hautausschlag, Müdigkeit, Kopfschmerzen.
Betroffene aber auch Ärztinnen und Ärzte bemerken oft diese Symptome nicht oder bringen sie nicht mit einer HIV-Infektion in Verbindung.
Übrigens: Eine HIV-Infektion kann erst circa sechs Wochen nach einem möglichen Risikokontakt nachgewiesen werden, da vorher noch nicht jeder Mensch genügend Antikörper gegen die Viren gebildet hat.
2. Asymtomatische Latenzphase
Die Symptome der ersten Phase verschwinden nach einigen Wochen spontan, da mittlerweile das Immunsystem auf den Angriff der HI-Viren reagiert.
Danach läuft die HIV-Infektion zunächst unauffällig. In der Regel bleiben HIV-Positive über Jahre beschwerdefrei und können ein normales Leben führen. Das Virus breitet sich dennoch schleichend aus und strapaziert das Immunsystem konstant.
3. Phase mit allgemeinen Symptomen
Durch die andauernde Belastung durch das HI-Virus wird das Immunsystem immer schwächer und kann sich nicht mehr genug gegen alle Krankheitserreger wehren. Der Körper zeigt jetzt häufiger Anzeichen einer Immunschwäche. Das können Hauterkrankungen, andauernde Lymphknotenbeschwerden, starker Nachtschweiss und andere Symptome sein.
4. Aids
In diesem Stadium ist das Immunsystem so stark beeinträchtigt, dass es schwere, lebensbedrohliche Krankheiten nicht mehr verhindern kann. Wenn bestimmte Kombinationen von Krankheiten auftreten, spricht man von Aids.
Die Bandbreite dieser sogenannt «Aids definierenden» Krankheiten ist gross, sie reicht von Krebserkrankungen über gewisse Formen der Lungenentzündung bis zum Pilzbefall der Speiseröhre. Nach dem Ausbruch von Aids beträgt die Lebenserwartung ohne Behandlung noch wenige Monate bis drei Jahre.
Quelle: aids.ch
Schutz vor einer HIV-Infektion
Bevor es überhaupt zu einer Erkrankung an Aids kommt, gibt es zum Glück viele Möglichkeiten sich zu schützen.
Eine der offensichtlichsten und sichersten Möglichkeiten ist Safer Sex mit Kondom. Das Kondom schützt zuverlässig, aber nicht zu 100 Prozent vor allen Geschlechtskrankheiten.
Seit 2016 informell in der Schweiz und seit 2019 im Rahmen eines nationalen Programmes ist ausserdem eine weitere Möglichkeit auf dem Markt, um Safer Sex zu praktizieren: PreP.
PrEP ist ein Medikament in Tablettenform und steht für “Prä-Expositions-Prophylaxe”. Richtig eingenommen, schützt es HIV-negative Menschen vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus.
Wer PrEP unter ärztlicher Begleitung nimmt, ist zuverlässig geschützt vor HIV und muss sich nicht um den Status der Sexpartner_innen kümmern.
Leben mit Aids
Ein positives HIV-Resultat bedeutet heute glücklicherweise nicht gleich den Tod.
Zur Behandlung einer HIV-Infektion existieren heute über zwanzig Medikamente. Nur die Kombination verschiedener HIV-Medikamente wirkt hinreichend, da das HI-Virus schnell Resistenzen entwickeln kann. Darum spricht man von einer Kombinationstherapie gegen HIV. Diese Kombinationstherapie muss ein Leben lang eingenommen werden.
Dank der Therapie steigt der Gesundheitszustand, die Lebensqualität wie auch Lebenserwartung an.
Wenn die Medikamente konsequent eingenommen und regelmässige ärztliche Tests gemacht werden, sind die HI-Viren im Blut nicht mehr nachweisbar. In diesem Fall spricht man von HIV-positiv unter der Nachweisgrenze und das Virus kann nicht mehr weitergegeben werden.
Neben den gesundheitlichen Risiken ist auch das gesellschaftliche Stigma ein Problem für HIV-positive Menschen.
Vielfach sorgt fehlendes oder veraltetes Wissen über HIV und Aids zu einer Abwehrhaltung und Ausschluss von HIV-positiven Menschen.
Darum kann nie genug gesagt werden: Ein Mensch, der dir offen sagt, dass er HIV-positiv ist, ist deutlich ungefährlicher als eine Person, die ihren HIV-Status nicht kennt.
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