Weekly, KW28
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Ein Kampfjet in Turbulenzen, noch vor dem Erstflug für die Schweizer Luftwaffe, Ungarn wird flugs von der EU vor Gericht gebeten und was wäre eine Woche ohne einen Premierminister, der den Abflug macht. Oder eben nicht.
Mehr dazu im Weekly vom 17. Juli, schön dass Du dabei bist!
Unstimmigkeiten über Verhandlungen vor Kampfjet-Kauf.
Vor mehr als einem Jahr entschied sich der Bundesrat für den Kauf von 36 F-35A Jets vom US-Amerikanischen Hersteller Lockheed Martin. Das Modell sei von allen Jets in der Evaluation das mit Abstand günstigste gewesen, begründete Verteidigungsministerin Viola Amherd den Entscheid.
Eidgenössische Finanzkontrolle:
Und seither sorgt die Entscheidung für hitzige Diskussionen in Bundesbern. So etwa die finanziellen Risiken. Kritiker:innen monieren, es gebe keine garantierten Fixpreise für die 36 Jets. Diese Position erhielt bereits letzte Woche Unterstützung von der Eidgenössischen Finanzkontrolle, die Einblick in alle Verträge hatte und zum Schluss kam, dass es “keine absolute Rechtssicherheit eines Festpreises im Sinne eines Pauschalpreises nach schweizerischem Recht” gebe. Auch bei Betrieb und Wartung könne es zu Mehrkosten kommen.
Das Verteidigungsdepartement (VBS) widerspricht in seinen Stellungnahmen deutlich: Der Kauf werde mithilfe von Festpreisverträgen abgewickelt. Und auch die Betriebskosten seien bis ins Jahr 2040 “verbindlich offeriert”.
Die Finanzkontrolle kritisiert weiter, dass rechtliche Mittel fehlen würden. “Man kann nicht eine Divergenz zwischen den Parteien vor ein Gericht bringen, das ist ausgeschlossen.” Das VBS sieht hier kein Problem, die Schweiz habe bisher gute Erfahrungen mit Rüstungsverträgen aus den USA gemacht.
Frankreich:
Was seit letzter Woche für Gesprächsstoff sorgt: Die Schweiz hat eine Woche bevor sie sich für den US-Jet entschied, beim Konkurrenten Frankreich, der mit dem Jet Rafale im Rennen war, eine schriftliche Bestätigung für “politische Gegengeschäfte” einholen lassen.
Das bedeutet: Frankreich machte Zusagen für eine höhere Beteiligung der Schweiz an den Steuereinnahmen der französischen Grenzgänger:innen und sicherte der Schweiz die volle Unterstützung Frankreichs in allen europapolitischen Dossiers, etwa die Wiederaufnahme der Schweiz am Forschungsprogramm Horizon. Aber: Frankreich erwartete auch eine millionenschwere Kampfjet-Bestellung beim Rüstungsunternehmen Dassault.
Doch der Bundesrat wollte davon nichts wissen. Er entschied sich am 30. Juni 2021 für den F-35A des US-Herstellers Lockheed Martin. Paris reagierte brüskiert und brach alle hochrangigen diplomatischen Beziehungen mit der Schweiz ab. Jetzt ist klar, warum. Die Verstimmung zwischen Bern und Paris hält bis heute an.
Frankreich musste aus der Presse entnehmen, dass angeblich bereits Wochen vor dem Bundesratsentscheid feststand, dass nur der US-Jet F-35A infrage kommen würde. Weiter behauptete das VBS in seiner Stellungnahme zu den Verhandlungen mit Frankreich: «Wenn solche stattgefunden haben, dann ohne Wissen der Departementsvorsteherin und des VBS.»
Verteidigungsministerin Viola Amherd warf damit Finanzminister Ueli Maurer und Aussenminister Ignazio Cassis vor, hinter ihrem Rücken verhandelt zu haben.
Freitags nun eine Kehrtwende: Finanz- und Aussendepartement bestätigen in einem wesentlichen Punkt, was SRF letzte Woche aufgedeckt hatte: der Auftrag, mit allen anbietenden Herstellerländern von Kampfjets Verhandlungen über «politische Gegengeschäfte» zu führen, kam von VBS-Chefin Amherd selbst.
Mit diesen Entwicklungen konfrontiert, bestätigte das VBS am Freitag gegenüber SRF erstmals, dass es Viola Amherd selbst war, die den Startschuss zu Abklärungen über mögliche Gegengeschäfte gab. Gleichzeitig hält das Verteidigungsministerium aber daran fest, dass ab Mitte Mai 2021 keine Verhandlungen mehr hätten geführt werden dürfen. Jedoch wurde in der Sitzung vom 18. Juni der Bundesrat - und damit auch Verteidigungsministerin Amherd - über den Stand der Gespräche mit Frankreich informiert, wie SRF-Recherchen gezeigt haben. Sowohl das Finanz- und das Aussendepartement halten ihrerseits daran fest, sie hätten das VBS über die “relevanten Entwicklungen” informiert.
EU verklagt Ungarn.
Die EU-Kommission sieht die Rechte von Minderheiten sowie die Medienfreiheit in Ungarn verletzt und hat darum am Freitag Klage wegen mutmasslicher Verstösse gegen das EU-Recht vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. In zwei Klagen geht es zum einen um ein Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität, wie die Behörde mitteilte. Der andere Fall betrifft das Vorgehen der ungarischen Behörden gegen den unabhängigen Radiosender Klubradio.
Hintergrund:
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán wurde bereits im vergangenen Jahr stark kritisiert für die Einführung eines Homosexuellen-Gesetzes. Es verbietet seit Juli 2021 Publikationen, die nicht-heterosexuelle Beziehungen darstellen und Kindern zugänglich sind. Auch wird Werbung verboten, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität erscheinen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte das ungarische Gesetz “eine Schande” und der niederländische Regierungschef Mark Rutte machte deutlich, dass er für Ungarn keinen Platz in der Europäischen Union sieht, wenn die Regierung in Budapest so weitermacht.
Orbán selbst wies jede Kritik an den neuen Regeln zurück - und behauptete, er verteidige vielmehr die Rechte von Homosexuellen. Die EU-Kommission ist jedoch der Ansicht, dass das Gesetz unter anderem Minderheiten auf Grundlage ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität diskriminiert sowie gegen Grundrechte und EU-Werte verstösst. Deshalb leitete die Behörde vor genau einem Jahr ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein.
Gleiches gilt für das Vorgehen gegen das Klubradio, den wohl letzten professionellen unabhängigen Radiosender des Landes. Der Sender musste im Februar 2021 den UKW-Sendebetrieb einstellen, weil die regierungsabhängige Medienbehörde die Sendelizenz nicht verlängert hatte. Seit dem Amtsantritt des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Orbán 2010 war der private Sender regelmässig Repressionen seitens der Medienbehörde ausgesetzt. Unter anderen durfte er vor dem Lizenzentzug nur noch im Grossraum Budapest senden. Derzeit verbreitet das Klubradio sein Programm nur noch über das Internet - allerdings mit deutlich geringerer Reichweite. Die EU-Kommission begründete die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof damit, dass Ungarn die Regeln zur Verlängerung der Sendefrequenz in einer unangemessenen und diskriminierenden Weise angewendet habe.
Bei einer Verurteilung drohen dem Staat Ungarn hohe Geldstrafen und die Einhaltung der bestehenden EU-Rechte.
Sri Lanka: Wirtschaftskrise, Staatspräsident im Exil, umstrittener Ex-Premier neuer Staatschef.
Sri Lankas ausser Landes geflüchteter Präsident Rajapaksa ist am Freitag offiziell zurückgetreten. Infolge der beispiellosen Massenproteste gegen die Staatsführung in Sri Lanka hatte sich Rajapaksa am Mittwoch gemeinsam mit seiner Frau in einer Militärmaschine auf die nahe gelegenen Malediven abgesetzt. Demonstranten hatten zuvor den Präsidentenpalast sowie andere Regierungsgebäude gestürmt und Rajapaksas Rücktritt gefordert.
Er trat aber nicht wie versprochen gleich zurück, sondern fachte die Wut der Demonstranten noch an, indem er den ebenfalls bei vielen verhassten Premierminister Ranil Wickremesinghe zum geschäftsführenden Präsidenten ernannte. Die Demonstranten fordern die Einsetzung einer Einheitsregierung, die die das Land aus der Misere holen soll.
Hintergrund:
Der Inselstaat südlich von Indien mit seinen etwa 22 Millionen Einwohnern durchlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Es mangelt an Treibstoff, Gas zum Kochen, Medikamenten und Lebensmitteln.Die Gründe dafür sind vielfältig: Zu nennen sind vor allem wirtschaftliches Missmanagement sowie fehlende Einnahmen aus dem Tourismus besonders infolge der Corona-Pandemie. Dem stark verschuldeten Land fehlt das Geld, um wichtige Güter zu importieren.
Im Mai waren Massenproteste gegen die Regierung eskaliert. Es gab Tote und Hunderte Verletzte. Die Regierung von Mahnda Rajapaksa war daraufhin zurückgetreten. Der Bruder des zurückgetretenen Regierungschefs, Präsident Gotabaya Rajapaksa, blieb hingegen im Amt.
Was jetzt passiert:
Paikiasothy Saravanamuttu, Gründer des Zentrums für Politische Alternativen in Colombo, beschäftigt seit mehreren Jahrzehnten mit der Politik Sri Lankas. Im Gespräch mit der ARD sagte der politische Analyst: "Wir müssen es schaffen, unsere Mentalität zu ändern. Wir brauchen umfangreiche Wirtschaftsreformen. Das alles wird eine riesige Herausforderung. Aber ohne Hoffnung, ohne den Willen, wirklich anzupacken, werden wir hier nicht vorankommen”. Was der Inselstaat brauche, so Saravanamuttu, sei ein Neuanfang mit Politikern, die bereit seien, das System von Grund auf zu erneuern.
Bis dahin fehlen der Bevölkerung weiterhin wichtige Ressourcen wie Treibstoff, Gas und Lebensmittel. Ihre Hoffnung für die Zukunft: dass ein neuer Präsident, der schon am Mittwoch vom Parlament gewählt werden könnte, endlich eine Lösung für die Krise findet.
Italien: Here we go again?
Die italienische Politik in Rom befindet sich in einer Krise, wieder einmal. Ministerpräsident Mario Draghi reichte am Donnerstag seinen Rücktritt ein, da ihm Koalitionspartner Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) bei einer Vertrauensabstimmung die Unterstützung versagt hatte.
«Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich heute Abend meinen Rücktritt beim Präsidenten der Republik einreichen werde», hatte Draghi noch am Donnerstagabend bei einer Sitzung des Ministerrates gesagt. Staatspräsident Sergio Mattarella hatte am Donnerstagabend einen Rücktritt Draghis jedoch abgelehnt und ihn beauftragt, Gespräche mit den Koalitionspartnern zu führen. Aus Regierungskreisen in Rom ist zu hören, dass am Mittwoch dann im Parlament Möglichkeiten für Regierungsmehrheiten unter Draghi ausgelotet werden sollen. Anschliessend soll sich Draghi erneut der Vertrauensfrage stellen. Die Sozialdemokraten und Zentrumsparteien möchten die Draghi-Regierung weiterführen, die rechtsextremen Fratelli d'Italia fordern sofortige Neuwahlen, womit sich auch die rechte Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia anfreunden könnten. Laut aktuellen Umfragen liegen die rechten Parteien in Italien zurzeit an der Spitze und erhoffen sich durch vorgezogenen Neuwahlen ein besseres Abstimmungsergebnis.
Was jetzt passiert:
Sollte Draghi keine solide Mehrheit hinbekommen, könnte Präsident Mattarella zunächst eine andere Person mit der Regierungsbildung beauftragen. Sollte auch dies scheitern, drohen vorgezogene Neuwahlen. Allerdings: Nächsten Frühling stehen sowieso reguläre Neuwahlen an.
Mit dem Verlust von Premier Mario Draghi - ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank - würde Italien vor allem Stabilität verlieren. Seitdem die Regierung Draghi vor eineinhalb Jahren übernommen hat, ist Italien wieder auf Kurs. Draghis Regierung ist - oder war - enorm breit abgestützt: Fünf-Sterne, Forza Italia, Sozialdemokraten, Zentrumsparteien und sogar die rechte Lega arbeiteten darin mit. Draghi habe immer ruhig und konsequent seine Pläne umgesetzt und versucht, alle Parteien ins Boot zu holen, so die ARD-Korrespondentin Elisabeth Pongratz in Rom. Doch das sei in den letzten Monaten zunehmend schwieriger geworden. Das ist ein Problem für Italien, denn das Land muss zahlreiche Reformen umsetzen, um die Milliarden der EU aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zu erhalten. Doch ohne Draghi wird das schwierig: “Wenn Draghi nicht mehr da ist, könnte es das Chaos bedeuten”, so Pongratz.
Redaktionsschluss: 17:50
Weekly 28/2022
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