Weekly, KW38
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Bei uns geht es heute um die Proteste gegen das iranische-Regime, werfen eine Blick auf die Abstimmungen in der Schweiz, aber legen unseren Fokus auf die Parlamentswahl in Italien, wo ein Rechtsruck erwartet wird:
Italien wählt ein neues Parlament. Ein Rechtsextremes?
Heute werden die italienischen Stimmbürger:innen an die Urne gebeten. Und es steht mehr auf dem Spiel als sonst. Das spüren die Italiener:innen zum Wahlkampfendspurt. Nach dem Aus der Regierung von Ministerpräsidenten Mario Draghi im Frühsommer (wir berichteten) stehen laut den letzten Umfragen die rechten Parteien an der Spitze der heutigen Wahl.
Hintergrund:
Als Favorit geht ein Rechts-Block in die Wahl. Die Allianz, in der Giorgia Meloni und ihre postfaschistische Partei “Fratelli d’Italia” (Brüder Italiens) am stärksten ist, könnte rund 45 Prozent der Stimmen erhalten. Der Allianz gehören neben den Fratelli die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini und die konservative Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi an. Wegen der Zusammensetzung wird sie auch Mitte-rechts-Koalition genannt, allerdings haben die beiden rechtsgerichteten Parteien den Umfragen nach eine deutliche Mehrheit bei den Wählenden.
Gegen einen möglichen Rechtsruck in der italienischen Politik wollen die Sozialdemokraten antreten. Sie gingen eine Wahl-Allianz mit linken Parteien und den Grünen ein - diese Gruppe liegt Analysten zufolge aber deutlich hinter dem Rechts-Block.
Sollten die Fratelli d’Italia die Wahl gewinnen,, wären die Postfaschisten 100 Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom stärkste politische Kraft in Italien und könnten mit Lega und Forza Italia eine rechtsradikale Regierung Italiens stellen.
Der Vorsprung der Fratelli liegt auch daran, dass sie als einzige Oppositionspartei in Italien Sammelbecken für die frustrierten und unzufriedenen Wählerschichten zur Verfügung standen. An der gescheiterten Regierung von Mario Draghi waren fast alle anderen Parteien beteiligt und hatten Mühe sich vom beliebten Draghi abzusetzen und aus seinem Schatten heraus ein eigenes Profil zu entwickeln. So bekommt Giorgia Melonis Partei die Zustimmung nicht unbedingt wegen, sondern trotz ihrer faschistischen Wurzeln. Und auch das ist ein Problem: Es zeigt sich einmal mehr, dass sich die italienische Gesellschaft offenbar nicht ausreichend mit der eigenen faschistischen Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Noch heute können viele Italiener Benito Mussolini viel Positives zuschreiben.
Zwar behauptet Giorgia Meloni im Wahlkampf, den Faschismus als Relikt der Geschichte hinter sich gelassen zu haben, aber an der grün-weiss-roten Flamme im Parteilogo der Fratelli d'Italia - Symbol für den Geist von Benito Mussolini - hält sie unbeirrt fest. Meloni schürt Ängste vor Masseneinwanderung und fordert Bevorzugung von italienischen Arbeitnehmern. Sie reitet auf der Wut und versucht gleichzeitig Befürchtungen zu zerstreuen, mit ihr würde sich Italien von EU und Nato abwenden. "Traditionelle" Familien sind für Meloni, Mutter einer sechsjährigen Tochter, das Fundament der Gesellschaft. Die LGBTQ-Bewegung tut sie als Lobbys ab, spöttelt über das Konzept der Gender-Fluidität und steht hinter dem Verbot von Adoptionen durch Alleinstehende. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Giorgia Meloni nicht mit dem Vater ihres Kindes verheiratet ist.
Was jetzt passiert:
Die italienischen Wahllokale sind heute Sonntag von 7 bis 23 Uhr geöffnet, bis auf wenige Ausnahmen müssen alle Stimmberechtigten persönlich in der Gemeinde wählen, wo sie gemeldet sind. Briefwahl ist nur für die knapp 4.9 Millionen Stimmberechtigten im Ausland möglich. Es wird eine sehr niedrige Wahlbeteiligung erwartet, da bereits bei vielen Italiener:innen eine Politikverdrossenheit eingesetzt hat. Gewählt werden Parteien und Kandidierende für die zwei Kammern des Parlaments, also 400 Sitze im Abgeordnetenhaus (vergleichbar mit dem Nationalrat) und 200 Sitze im Senat (ungefähr der Ständerat) . Am Sonntagabend um 23 Uhr werden erste Prognosen veröffentlicht, im Laufe der Nacht folgen Hochrechnungen. Die ersten offiziellen (Teil-)Ergebnisse werden am Montagmorgen erwartet.
Iraner:innen kämpfen für ihre Freiheit.
Seit über einer Woche dauern die Prostete im Iran an. Tausende Menschen gehen tausende Menschen gegen das islamische Herrschaftssystem und die systematische Diskriminierung von Frauen auf die Strasse. Die Regierung reagiert mit äusserster Härte. Menschenrechtsorganisationen gehen von mindestens 50 Todesopfern aus. Die Behörden berichteten gestern von 740 Festnahmen in der Region rund um die Hauptstadt Teheran, darunter 60 Frauen.
Hintergrund:
Auslöser ist der Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. Sie wurde vor einer Woche von der Sittenpolizei wegen eines Verstosses gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen. Die Kleidervorschriften geben vor, dass eine Frau islamisch verhüllt sein muss. Sie muss also eine Mantel sowie ein Kopftuch tragen oder einen Tschador. Der Körper darf in seinen Formen nicht gezeigt werden - damit die Männer nicht erregt werden. Aus diesem Grund darf eine Frau auch nicht singen. Amini soll bei der Kontrolle der Sittenpolizei ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben.
Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Jedenfalls fiel sie ins Koma und starb am Freitag vergangener Woche in einem Krankenhaus. Das Innenministerium weist die Schuld an Aminis Tod von sich. Es habe weder Schläge seitens der Polizei noch einen Schädelbruch gegeben. Die Polizei behauptet, Amini sei wegen eines Herzfehlers ins Koma gefallen und gestorben.
Es brauchte bloss noch eine Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Die Unzufriedenheit in Iran ist enorm gross: Schon in den letzten Monaten kam es zu hunderten kleineren Protesten aus verschieden Gründen - wegen Wasserknappheit, Preissteigerungen bei Lebensmitteln, nicht ausbezahlter Gehälter oder Korruption.
"Natürlich geht es um Frauenrechte, die massiv benachteiligt sind", sagte der deutsch-iranische Schriftsteller im Interview mit den tagesthemen der ARD. Es gebe aber auch grossen Unmut aus anderen Gründen: "Es geht um die täglichen Gängeleien, um die Rechte der Minderheiten, um die Wirtschaftskrise - es geht hier um alles." Die Demonstranten forderten nicht nur einzelne Reformen - auf den Strassen werde ganz offen die Systemfrage gestellt. "Das ist eine Absage an die herrschende Elite."
Kermani zollte den Frauen und den Protestierenden Respekt für ihren Mut. Die Menschen "entwickeln ein enormes Selbstbewusstsein im Kampf gegen das Regime und sind trotz Lebensgefahr jeden Abend auf den Strassen". Es sei "unglaublich, mit welcher Kraft und Energie diese Menschen für ihre Rechte kämpften gegen ein System, das schon vielfach gezeigt habe, dass es, wenn es mit dem Rücken zur Wand steht, zuschlägt.
Auch in der Europa, etwa Berlin und Zürich gingen gestern Samstag Menschen auf die Strasse um Solidarisierung mit der iranischen Bevölkerung zu signalisieren. Da die Regierung grosse Teile des Internets verlangsamt hat und Plattformen wie Whatsapp und Instagram blockierte, versuchen westliche Internetnutzende zu helfen. Entweder über eine Browser-Erweiterung, die den Menschen in Iran den Zugriff auf das Tor-Netzwerk ermöglicht, das Zugang zum freien und unzensierten Internet ermöglicht. Der Unternehmer Elon Musk hat angekündigt, dass sein Unternehmen Starlink prüfe, den Internetzugriff via eigene Satelliten in Iran freizugeben. Gleiches ist bereits im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geschehen.
Die Schweiz stimmt ab.
Heute wurde in der Schweiz abgestimmt. Drei Vorlagen standen zur Debatte. Eine grundlegende Reform der Altersvorsorge, mit einer Erhöhung des Frauenrentenalters und der Mehrwertsteuer, eine Teilabschaffung der Verrechnungssteuer auf Schweizer Obligationen und die Massentierhaltungsinitiative, die die Massentierhaltung verbieten will und und die Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung in die Verfassung aufnehmen:
Die Resultate in der Grobübersicht:
(Redaktionsschluss um: 17:00 )
AHV-Reform: vom Volk angenommen.
Verrechnungssteuer: vom Volk abgelehnt.
Massentierhaltung: vom Volk angenommen und von den Ständen (Mehrheit der Kantone) abgelehnt.
Redaktionsschluss: 17:00
Weekly 38/2022
Headerbild von Milad Fakurian via Unsplash
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