Nicht jede News ist eine Nachricht

Wie sich der Autor die rethink-Leser*innen vorstellt.

Zeitungen sterben aus, Medien wandern ins Internet ab. Der morgendliche Pendlerstrom starrt täglich in die immer gleiche Gratiszeitung, Onlineartikel müssen zuerst zwischen den Werbebannern gefunden werden. Und: Nicht jede News, die wir vor die Augen kriegen, ist auch eine Nachricht, die wichtig ist.

Jaja, das "Früher war alles besser"-Gejammer kennen wir alle. Es gibt jedoch Bereiche, da hatten unsere Vorgänger doch einige Vorteile. Oder es war zumindest anders. Aber kommen wir nun auf den Punkt.
Stell dir kurz vor, welcher Aufwand betrieben werden musste, um in der Steinzeit eine Nachricht zu übermitteln. Entweder setzte man einen Mitmenschen den Gefahren der Natur aus und schickte ihn zu Fuss zum Empfänger. Oder man sammelte Holz und verständigte durch Rauchzeichen den Nachbarn. Diese Methoden funktionierten jedoch nur bedingt einwandfrei. Der Bote musste den Marsch durch die Wolfsreviere überleben, oder der Empfänger musste genau dann in den Himmel schauen, als die Rauchzeichen emporstiegen.

Oder ein bisschen weniger "früher", als der Begriff Flatrate für's telefonieren noch nicht einmal erfunden wurde, war jede Minute mehrere Franken wert. Wenn also was gesagt wurde, musste es vor Wichtigkeit strotzen.
Und damals, als die Zeitungen an jeden Frühstückstisch gehörten, sich jeder dadurch informierte, wurde anders berichtet. Es gab keine Online-Berichterstattung, geschah etwas den Tag hindurch, schrieb die Zeitung am nächsten Morgen darüber. Die Zeit, die den Redaktionen dabei blieb, half ihnen, differenziert und vollständig zu berichten. Für die Kurzmeldungen war das Radio zuständig, die ganze Info las die Bevölkerung später in der Zeitung.
Nun sind wir an dem Punkt angekommen, wo du dich vielleicht fragst, was diese Lobsingerei auf die Vergangenheit bringen soll.
Deshalb eine Gegenfrage: Wie informierst du dich heute? Oder: Wie viele Push-Benachrichtigungen hast du heute bereits auf dein Smartphone erhalten?

Der Journalismus hat sich geändert, Nachrichtenredaktionen heissen heute Newsdesk, schreiben immer weniger, kopieren immer häufiger von Agenturen. Achte dich mal, zum Beispiel in der Gratiszeitung mit dem blauen Logo, wie viele Artikel die Kürzel sda (Schweizerische Depeschenagentur) oder dpa (Deutsche Presse-Agentur) tragen. Beides sind Nachrichtenagenturen, welche 24 Stunden am Tag Informationen zusammentragen und diese meist in kurzen Artikeln, neutral und prägnant an die Medien verschicken. Und das erklärt auch, warum Zeitungen mittlerweile Newsportale genannt werden. Die Menschen, die dort arbeiten, filtern die Flut an News aus den Agenturen, und schalten sie auf ihrer Seite frei. Manchmal 1:1, manchmal ein bisschen umgeschrieben. Dazwischen finden wir wenige grosse Reportagen, Werbung und bezahlte Beiträge.

Journalismus in der weiten Welt des Internets

Seit der Verkauf von gedruckten Zeitungen immer weiter abnimmt, stagnieren auch die Umsätze im Werbemarkt. Im Internet hingegen, lag die Hoffnung vieler Verleger. Dem Werbekunden konnte haargenau gesagt werden, wie viele Nutzer welchen Artikel angeklickt haben, welche Werbung gesehen haben und sogar auf welche Werbung geklickt haben. Das führt dazu, dass man zuweilen den Eindruck erhält, gewisse Artikel wurden nur veröffentlicht, damit Werbung angezeigt werden kann. Inhaltslose, unwichtige News erobern immer häufiger unseren Alltag. Ein Beispiel sind Bildschirme in Bus, Tram und Zug, welche mittlerweile fast in jeder Stadt zu finden sind. Achte dich das nächste Mal, wie das Verhältnis Information zu Werbung steht. Und achte dich auch mal, wie viel Information du über ein Thema erhältst. Meist sind das zwei bis drei Sätze, mit vielleicht zwei Hintergrundbilder. Das reicht selten bis nie für eine Berichterstattung, die journalistischen Anforderungen genügen soll. Oder anders ausgedrückt: Dort steht meistens Bullshit. Es bleibt zum Beispiel kein Platz, um eine Studie ausführlich zu erklären, also wird nur die knackigste und brisanteste Erkenntnis veröffentlicht. Und diese Problematik betrifft nicht nur Bildschirme im öffentlichen Verkehr, sondern auch eine Vielzahl von Newsportalen im Internet. Hier wäre Platz vorhanden, zur Genüge sogar. Trotzdem werden Informationen zusammengekürzt, überspitzte Überschriften kreiert, deren einziger Zweck ist, die Nutzer dazu zu animieren auf den Artikel zu klicken. Denn: Klicks bedeuten Geld.

Bewusster lesen

“Nun gut”, wirst du sagen. “Was soll ich nun nach deinen Ausführungen über die Medienbranche machen? Ich will ja trotzdem informiert bleiben.”
Guter Punkt, aber überdenke kurz, wie und wo du dich informierst. Oder wirst du informiert? Durch Push-Benachrichtigungen erhalten die Portale die Möglichkeit, zu entscheiden, was du zu lesen hast. Probiere es, vielleicht einen Tag, eine Woche oder sogar länger, aus, auf Pushs von Nachrichtenapps zu verzichten. Gehe auf die Seite wann du willst, und nicht wann es sie wollen.
Hinterfrage bei den gelesenen Artikeln, wie sich diese auf deinen heutigen Tag auswirken. War es eine Information, die dich betrifft? Eine Information über den Verkehr oder das Wetter zum Beispiel? War es einen Bericht über die Politik oder Schweizer Wirtschaft? Oder war es eine News, die dich absolut nicht betrifft? Wie zum Beispiel ein Video mit einer Dauer von 20 Sekunden aus den USA, das einen Abrissbagger zuoberst auf einer Bauruine zeigt?

Lese nicht nur, konsumiere. Und das bewusst. Immer häufiger landen beliebte Bilder und Videos aus den sozialen Plattformen auf Newsseiten. Dies aus einem einfachen Grund: Sie generieren Klicks. Und Klicks bedeuten Geld.

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© rethink-blog 2019

Oli Wingeier

Oli, findet alles Neue spannend und erstmal gut, ausser die neuen Rechten. Duscht jeden Morgen zu lange, besitzt mehr als tausend Notizbücher und zu viele Gedanken (oder umgekehrt).
Für rethink wühlt er sich jede Woche durch etliche Nachrichten und kreiert dann daraus eine Zusammenfassung der wichtigsten News. Zu lesen und hören als “Weekly”

https://instagram.com/oli.wingeier
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