OECD-Mindeststeuer

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Grosse international tätige Unternehmen sollen in der Schweiz und 140 anderen Staaten mindestens 15% Steuern bezahlen. Um eine solche Mindestbesteuerung gesetzlich zu ermöglichen, ist eine Änderung der Bundesverfassung nötig.
Darum stimmt das Schweizer Stimmvolk am 18. Juni darüber ab.


Die 20 grössten Industriestaaten (G20) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wollen zusammen mit 138 Staaten, dass Grosskonzerne mit 15 Prozent besteuert werden. Ziel ist eine weltweite Steuergerechtigkeit. Erhebt ein Land weniger als die 15%, erhalten andere Staaten die Möglichkeit, die Steuern bei sich einzuziehen. Betroffen sind internationale Konzerne mit einem Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro.


Was sich ändert:

Bisher ist es möglich, dass multinational tätige Konzerne ihre Einkünfte durch legale Gewinnverschiebung in Steueroasen tief oder gar nicht versteuern müssen. Mit der Mindeststeuer will die OECD, bei der auch die Schweiz Mitglied ist, den internationalen Steuerwettbewerb bekämpfen. 

  • Verkauft ein Unternehmen mit Sitz in Staat A seine Produkte in den Empfängerstaat B, so könnten beide Staaten den Gewinn aus diesem Verkauf mit guten Argumenten bei sich versteuern lassen. Um eine solche (wirtschafts-)schädliche Doppelbesteuerung zu vermeiden, einigen sich Staaten seit jeher auf einen Verteilmodus, wer für welchen Gewinnteil Steuern erheben darf. Rund 3’000 Abkommen gibt es weltweit, die solche Verteilschlüssel definieren. Damit sie miteinander kompatibel sind, folgen sie internationalen Standards. Der wichtigste Standard ist jener der OECD und wurde in den 1920er Jahren entwickelt. Damals war es weder möglich noch vorstellbar, grenzüberschreitende Tätigkeiten ohne physische Präsenz in einem anderen Staat auszuüben. Darum sind diese Steuerabkommen an eine physische Präsenz wie Fabriken, Niederlassungen, Büros oder Filialen geknüpft.

    Mit der Digitalisierung ist es möglich geworden, Dienstleistungen in die ganze Welt zu verkaufen, ohne je einen anderen Staat zu betreten. Die Besteuerung verschiebt sich seit einiger Zeit also von dem Staat, in dem der Verkauf geschah, in das Land, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Die OECD hat diese Entwicklung bereits vor mehreren Jahren erkannt und suchte eine Möglichkeit, den fast hundertjährigen Standard zu modernisieren. Da es die “Digitalwirtschaft” nicht gibt, sondern die Wirtschaft sich allgemein digitalisiert, genügen punktuelle Anpassungen nicht. Grundlegende Änderungen im OECD-Standard greifen jedoch tief in die einzelnen Abkommen ein.

    In zwei unterschiedlichen Projekten (Säule 1 und 2) will die OECD, zusammen mit den zwanzig wichtigsten Industriestaaten, nun die Besteuerungsrechte der Staaten neu verteilen und gleichzeitig die Steuern auf ein Mindestlevel heben. Damit soll verhindert werden, dass weiterhin Staaten mit tiefen Unternehmenssteuern einen regelrechten Steuerkampf betreiben um Konzerne und ihren Hauptsitz anzuziehen.

    Besteuerung im Marktstaat (Säule 1):
    Mit der ersten Säule soll es möglich sein, erwirtschaftete Gewinne zu besteuern, obwohl das Unternehmen in diesem Staat keine physische Präsenz hat.

    Der im Empfängerstaat B erwirtschaftete Gewinn stand bisher nur Staat A zu, da hier das Unternehmen seinen Sitz hat und die “Wertschöpfung” stattfand. Neu soll auch Staat B einen Anteil an diesem Gewinn zustehen, weil den zahlenden Kunden für die Wertschöpfung mehr Gewicht beigemessen wird.

    Säule 1 betrifft Konzerne mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro. Nach Schätzung der OECD geht es um die 100 grössten und profitabelsten Unternehmen der Welt. Für die Umsetzung braucht es noch ein internationales Abkommen. Welche Länder dieses unterzeichnen und wann dies geschieht, ist noch offen.

    Mindestbesteuerung (Säule 2):
    Um dieses Vorhaben der OECD geht es bei der Abstimmung in der Schweiz. Sie betrifft Konzerne mit Unternehmen in mehr als einem Land und einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro. In jedem Land, das das Abkommen mitträgt, sollen die Konzerne mindestens 15 Prozent Steuern auf ihrem Gewinn bezahlen. Der Gewinn wird nach international einheitlichen Standards ermittelt. Ausgenommen von der Mindestbesteuerung sind Einkünfte aus der internationalen Schifffahrt. Die zweite Säule wird unabhängig von der ersten behandelt und in vielen Staaten im Jahr 2024 eingeführt.

Um die OECD-Mindeststeuer einzuführen, muss die Schweizer Verfassung angepasst werden. Der Bund soll mit einer “Ergänzungssteuer” in die Steuerhoheit der Kantone eingreifen können. Die Einnahmen aus der Ergänzungssteuer stehen zu 75 Prozent jenen Kantonen zu, in denen die Konzerne ihre Steuern bezahlen. Namentlich sind das vorwiegend Zug, Basel-Stadt und Genf. Damit sollen die Einnahmen gezielt dort eingesetzt werden, wo die Standortattraktivität durch die höheren Steuern leidet. Die Kantone entscheiden selbständig über die Verwendung ihrer Einnahmen, sie müssen aber die Gemeinden berücksichtigen. 

Die restlichen 25 Prozent der Einnahmen stehen dem Bund zu. Er verwendet einen Teil der Mittel zur schweizweiten Förderung der Standortattraktivität für Unternehmen. 

Laut einer Schätzung der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) sind in der Schweiz wenige Hundert schweizerische und wenige Tausend ausländische Konzerne direkt von der OECD/G20-Reform betroffen. Die meisten Unternehmen in der Schweiz sind von der Reform nicht betroffen und werden wie bisher besteuert.

Heute ist es in allen Kantonen möglich, dass Unternehmen weniger als 15% Steuern bezahlen. Wie sich die Einführung der Mindeststeuer auf die Einnahmen von Gemeinden, Kantonen und Bund auswirkt, ist schwer abzuschätzen. Die Steuerverwaltung schätzt die Einnahmen aus der Steuer im ersten Jahr auf 1 bis 2.5 Milliarden Franken. In Zukunft besteht die Möglichkeit, dass Einnahmen auch zurückgehen, weil sich die Unternehmen anpassen und beispielsweise weniger investieren, da die Schweiz steuerlich weniger attraktiv ist. Doch auch mit einer Steuer von 15% ist die Schweiz noch eines der attraktivsten Länder. In den USA etwa ist eine Konzernsteuer von 21% fällig, in Frankreich 25%. 

Zusätzlich biete die Schweiz auch andere Vorteile, sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Etwa politische Stabilität, Rechtssicherheit oder qualifizierte Arbeitskräfte würden für den Standort Schweiz sprechen.

Die Mindestbesteuerung wollen Bundesrat und Parlament bereits 2024 einführen können. Damit zieht die Schweiz mit den EU-Staaten und Kanada, Japan und Grossbritannien gleich, die ebenfalls eine Einführung ab 2024 anstreben.

Wer dagegen ist:

Die SP hat die Nein-Parole beschlossen, die Grünen legen sich nicht fest und geben darum eine Stimmfreigabe heraus. Sie empfehlen ihren Mitgliedern also weder ein Ja noch ein Nein.
Bei beiden Parteien gibt es auf kantonaler Ebene unterschiedliche Meinungen. Auch Alliance Sud, ein Zusammenschluss für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, mit Mitgliedsorganisationen wie Helvetas, Caritas und Terre des hommes, spricht sich gegen die Vorlage aus.

Argumente der Gegnerinnen:

Im Grundsatz sprechen sich alle Parteien für die Einführung der Mindeststeuer aus.

Für die Sozialdemokratische Partei ist der Verteilschlüssel der Einnahmen zwischen Kantone und Bund der Grund, warum sie die Nein-Parole beschlossen hat. Die bisherigen Firmenmagnete wie Zug und Basel würden 40% des gesamten Kantons-Kuchens einstreichen. Damit würde sich der Steuerwettbewerb innerhalb der Kantone noch weiter verschärfen. Das Geld sollte besser zum Bund fliessen und in Infrastrukturen investiert werden, beziehungsweise den Menschen zukommen, so das Argument. Aus diesem Grund beschlossen auch die Grünen Stimmfreigabe. 

Wer dafür ist:

Für ein Ja sprechen sich neben Bundesrat und Parlament auch die Parteien SVP, FDP, EVP, Mitte und GLP aus. Gleichzeitig sind auch die Kantone, Economiesuisse und der Gewerbeverband für die Einführung der Mindeststeuer.

Argumente der Befürworterinnen:

Die Anpassung sei im Kern unumgänglich, darum sollen zumindest die Steuereinnahmen in der Schweiz bleiben, so der Tenor auf der Ja-Seite. Wenn die Schweiz die von der OECD beschlossenen Regeln nicht übernimmt, dürfen andere Länder die Besteuerung vornehmen, indem sie die Differenz zu den 15 Prozent als Steuer erheben. Damit würde Steuergeld ins Ausland abfliessen, so das Argument.

Abstimmungsfrage:

Das steht auf dem Abstimmungszettel: Wollen Sie den Bundesbeschluss vom 16. Dezember 2022 über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmehnsgruppen (Umsetzung des OECD/G20-Projekts zur Besteuerung grosser Unternemensgruppen) annehmen?

Das bedeutet es: Willst Du, dass internationale Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro in der Schweiz mindestens 15% Steuern zahlen?


PS: Egal welcher Meinung du bist, nutze dein Stimmrecht und geh’ an die Urne.

PPS: Auch wenn man einen Brief öffnen und wieder abschicken muss, oder am Sonntag ins Abstimmungslokal gehen muss, nicht jede*r auf dieser Welt kann so viel mitbestimmen wie wir. Also sollten wir uns auch einen Tritt in den Arsch geben und es ernst nehmen.


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Oli Wingeier

Oli, findet alles Neue spannend und erstmal gut, ausser die neuen Rechten. Duscht jeden Morgen zu lange, besitzt mehr als tausend Notizbücher und zu viele Gedanken (oder umgekehrt).
Für rethink wühlt er sich jede Woche durch etliche Nachrichten und kreiert dann daraus eine Zusammenfassung der wichtigsten News. Zu lesen und hören als “Weekly”

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