Wo es Süsses gibt, ist das Saure nicht weit.

Im September fand in Zürich bereits der zehnte “Marsch fürs Läbe” unter dem Motto “Danke, dass ich leben darf!” statt. Dieses Jahr standen jedoch nicht nur die Forderungen der Veranstaltung im Fokus, sondern auch die Personen, die dahinterstehen. Und da taucht auch der Name des Chocolatiers Läderach auf:

Geht man auf die Website des Vereins “Marsch fürs Läbe Schweiz”, ist die Sache klar. Die Personen hinter dieser Organisation setzen sich dafür ein, dass alle Menschen ein Recht auf Leben haben. Genauer betrachtet sehen die Forderungen jedoch differenzierter aus. Mit ein Grund, warum es alljährlich zu einer Gegendemonstration kommt. Denn kurzgefasst ist der Marsch fürs Läbe ein Anlass, an dem hunderte fundamentalistische Christinnen und Christen und ähnliche Gesinnte gegen das Recht auf Abtreibung, gegen Menschen aus der LGBTIQ+ Community, gegen “moderne” Familienmodelle und auch gegen Sexualkunde protestieren.

Nachdem letztes Jahr nur eine von der Polizei hermetisch abgeriegelte Platzdemo vor dem Bundeshaus in Bern bewilligt wurde, durften sie dieses Jahr nach einigem juristischem Hin und Her doch wieder durch die Stadt Zürich pilgern.

Die Neue Zürcher Zeitung recherchierte dieses Jahr über die Köpfe hinter dem Anlass und präsentierte die eine oder andere spannende Personalie. Als Präsident des Vereins Marsch fürs Läbe und Veranstalter der Demonstration amtet der ehemalige Stadtzürcher SVP-Gemeinderat Daniel Regli. Die NZZ traf Regli an einem Sonntagvormittag in Stettbach bei Zürich. Die Samsung Hall dort ist gut gefüllt. Wenn die Freikirche ICF zur “Celebration” aufruft, kommen die Gläubigen in Scharen. Eine Pop-Rock-Band spielt vor der Predigt einige englische Lieder, Scheinwerfer tauchen die Halle in mystisches Licht.

[...] Daniel Regli wippt mit geschlossenen Augen im Takt der Musik, hebt wie viele andere die Hände empor. In den vorderen Reihen steigen die Leute auf die Stühle, die Menge ist euphorisiert. Auf der Bühne besingt ein junger Mann Jesus, das Publikum stimmt mit ein: «You give me freedom, a brand new life.»
— Neue Zürcher Zeitung,

Mit der Freiheit ist das aber so eine Sache. Mit einem Abtreibungsverbot wollen sogenannte Lebensschützer wie Daniel Regli den Frauen das Recht absprechen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Die Lebensschützer vertreten die Haltung, Leben entstehe, wenn eine Samenzelle mit einer Eizelle verschmelze. Dabei unterscheidet auch Regli zwischen dem Bauch einer Frau und was darin entstanden sei. Im Gespräch mit der NZZ sagte er: “Es geht uns nicht um die Frau, sondern um dieses ungeborene Leben. Wieso soll die Frau über eine andere Schöpfung bestimmen dürfen?”

Wo Fakten nur alternativ wichtig sind

In ihrem Kampf für das Leben greifen die Abtreibungsgegner gerne zu perfiden Mitteln: Sie verwenden Informationen ohne wissenschaftliche Grundlagen als Fakten, mit Gruselszenarien von Föten, die im Abfall landen, appelliert man an das schlechte Gewissen. Auch Regli ist überzeugt, dass sich der Marsch für das Wohl der Frauen einsetze. Er begründet dies mit wissenschaftlich nicht haltbaren Argumenten: Viele Frauen könnten nach einer Abtreibung nicht mehr schwanger werden. Oder sie erkrankten am “Post-Abortion-Syndrom” — einer schweren Depression.
Cornelia Betschart, Oberärztin für Gynäkologie am Universitätsspital Zürich, warnt im Interview mit der NZZ vor der Wirkung solcher Aussagen: “Angst zu verbreiten und Frauen, die bereits unter enormem Druck stehen, zusätzlich Schuld aufzuladen, ist sehr problematisch.” Verhindern lassen sich Abbrüche eh nicht. Wenn eine Frau ungewollt schwanger ist, findet sie immer einen Weg diese zu beenden. Die Frage ist nur, wie sicher dieser Weg ist. Und die Statistik zeigt klar: Seit der Fristenregelung — die vorsieht, dass bis zur zwölften Schwangerschaftswoche die Entscheidung alleine bei der Frau liegt und erst nach dieser Frist ein ärztliches Urteil notwendig wird, um von der Frau eine schwerwiegende Schädigung oder eine schwere seelische Notlage abzuwenden — hat die Zahl der Abtreibungen abgenommen: Wurden im Jahr 2000 noch über 12’000 Schwangerschaftsabbrüche verzeichnet, waren es im letzten Jahr nur noch knapp 10’000.

Personalie Regli

Zahlen die den Marsch fürs Läbe Präsidenten Daniel Regli nicht sonderlich interessieren. Bereits während seiner politischen Karriere galt er als Polemiker und sorgte immer wieder für Schlagzeilen. Zuletzt 2017 als er noch für die SVP im Zürcher Stadtparlament sass. Er führte die erhöhte Suizidalität Homosexueller darauf zurück, “dass der Analmuskel nicht mehr hält, was er verspricht”. Die Partei distanzierte sich in dieser Aussage von Regli.

Seit er politisch in Pension ist, widmet sich Regli ganz dem Kampf für das ungeborene Leben, wie er es mehrfach beschreibt. Etwa zur gleichen Zeit wechselte er von der Volkskirche zur Freikirche ICF. Unter deren Anhängern sind auch Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik. So besucht etwa Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes und seit neuestem Ex-FDP-Nationalrat regelmässig die Celebrations.
Inhalt dieser Veranstaltungen ist konservatives Gedankengut in modernem Gewand. ICF wurde öffentlich immer wieder für die ablehnende Haltung gegenüber Sex vor der Ehe und gleichgeschlechtlichen Beziehungen kritisiert. Die Freikirche gehört nicht zur Trägerschaft des Marsch fürs Läbe, teilt aber weitgehend die gleichen Positionen. Gegenüber der NZZ sagte der Pastor Nicolas Legler, die ICF sei für das Leben und erachte es als ein Geschenk Gottes. “Nicht jede Schwangerschaft mag geplant und gewollt sein, das Leben, welches entsteht, aber schon.” Legler verliess gemäss internen Informationen ICF vor Kurzem und ist demnach zum aktuellen Zeitpunkt kein ICF-Pastor.

Das Läderach Netzwerk

Im Anschluss an einen Gottesdienst von ICF gibt Johannes Läderach, CEO des gleichnamigen Schokoladefabrikanten, ein vom ICF organisiertes Business-Seminar. Im Verein Marsch fürs Läbe mischt die Schokoladendynastie ganz vorne mit. Laut dem Online-Medium “Das Lamm” sitzen gleich mehrere Personen beim Marsch fürs Läbe am Tisch. Walter Mannhart, Leiter Einkauf bei Läderach Schokolade, ist Aktuar des Vereins. Jürg Läderach ist der Kassier. Jürg Läderach, Sohn des Firmengründers Rudolf Läderach und bis 2018 CEO der Firma, ist ausserdem Präsident bei “Christanity for today” einer fundamentalistischen Gruppierung, die bis vor kurzem noch unter dem Namen „Christians for truth“ oder „Christen für die Wahrheit“ krude Verschwörungstheorien und reaktionäres Gedankengut verbreitete. Jürg Läderach steht ausserdem dem Missionswerk Kwasizabantu vor, einer christlich-evangelikalischen Mission, welche sich ebenfalls um das Thema Abtreibungsgegnerschaft organisiert. Aus Kreisen der Mission kam vor Jahren gar eine politische Initiative vors Volk, welche Abtreibung selbst bei Vergewaltigungsopfern verbieten wollte.

Die Familie Läderach scheint dem Veranstalter und Präsidenten Regli nicht nur spirituell, sondern auch politisch nahe zu stehen: So erhielt laut “Das Lamm” Daniel Regli nach seinen Aussagen gegenüber Homosexuellen sofort Rückendeckung vom aktuellen CEO der Schokoladenfirma, Johannes Läderach. Er beklagte im Bulletin von Christianity for today die Gleichschaltung der Medien und sah durch die Kritik an Regli die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Boykott an Läderach?

Wie steht es um die finanzielle Zuwendung der Schokoladenfamilie? Auf Anfrage von “das Lamm” schrieb Marsch fürs Läbe Präsident Regli: „Herr Läderach und Herr Mannhart vertreten im Verein Marsch fürs Läbe die Organisation Christianity for today (CFT). CFT und die angeschlossene Jugendorganisation Young’n’Precious sind Mitglied der Trägerschaft Marsch fürs Läbe. Die elf Organisationen der Trägerschaft tragen mit einem Jahresbeitrag einen Teil der jährlichen Ausgaben. Der grosse Rest wird von hunderten von Spenderinnen und Spendern gedeckt.“

Offen ist und bleibt die Frage, ob Konsumentinnen und Konsumenten mit einem Einkauf bei Läderach direkt oder indirekt den Marsch unterstützen. Die Firma Läderach teilte auf Anfrage von “das Lamm” mit: „Das Engagement der Familie Läderach und Herrn Walter Mannhart im Verein Marsch fürs Läbe ist privater Natur und geschieht unabhängig von ihren Funktionen im Unternehmen. Zu privaten Vereinstätigkeiten von Mitarbeitern nehmen wir aus Unternehmenssicht keine Stellung. Das Unternehmen Läderach ist in keiner Weise mit dem Verein ‚Marsch fürs Läbe‘ finanziell verbunden.“

Läderach ist ein Familienbetrieb ohne Börsenkotierung und muss deshalb abgesehen von den Steuerbehörden niemanden Zahlen offenlegen. Bei der Frage, ob die Firma direkt den Marsch fürs Läbe und damit auch dessen Positionen gegen Freiheit von Frauen bei Abtreibungen und homophobe Haltungen unterstützt, müssen sich Kundinnen und Kunden auf das Wort der Medienstelle verlassen.

Bei der indirekten Finanzierung durch die Personen Johannes und Jürg Läderach, sowie dem Leiter Einkauf Walter Mannhart sieht es hingegen anders aus. Die intensive Zusammenarbeit und die Überschneidungspunkte lassen zumindest den Verdacht aufkommen, dass ein Teil des Vermögens der Firmenbesitzer, welches notabene direkt aus dem Verkauf von Läderach-Schokolade stammt, für die Finanzierung des Vereins und Umzug Marsch fürs Läbe dient.

Der Umsatz der 45 Schweizer Läderach-Verkaufsstellen und aus dem Aussenhandel betrug 2017 laut Expertinnenschätzungen rund 110 Millionen Franken.

Ob dies ein Grund ist, um die Filialen und Produkte der Firma Läderach zu meiden, wie dies einige Personen in den sozialen Netzwerken gefordert hatten, ist jedem selber überlassen. Was jedoch auf jeden Fall unnötig ist, sind Vandalismus und Gewalt gegen Filialen, wie dies unter anderem in Basel geschehen ist. Dies ist definitiv keine Lösung.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass unsere Gesellschaft eigentlich bereits mehrfach zum Thema Schwangerschaftsabbrüche Stellung nehmen konnte. Und das Schweizer Stimmvolk dies auch klar tat: Die aktuelle Fristenregelung wurde vom Volk 2002 mit 72 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Gleichzeitig wurde die extreme Initiative mit dem Namen “für Mutter und Kind - für den Schutz des ungeborenen Kindes und für die Hilfe an seine Mutter in Not”, die Schwangerschaftsabbrüche faktisch unter Strafe gestellt hätte, mit wuchtigen 81 Prozent Nein-Stimmen an der Urne verworfen.


© rethink-blog 2019

Mit Informationen von:
nzz.ch
daslamm.ch

Oli Wingeier

Oli, findet alles Neue spannend und erstmal gut, ausser die neuen Rechten. Duscht jeden Morgen zu lange, besitzt mehr als tausend Notizbücher und zu viele Gedanken (oder umgekehrt).
Für rethink wühlt er sich jede Woche durch etliche Nachrichten und kreiert dann daraus eine Zusammenfassung der wichtigsten News. Zu lesen und hören als “Weekly”

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