Weekly, KW36
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Die Sommerpause des Weekly ist vorbei, unser Nachrichtentipper ist ausgeruht und ready. Ausruhen wird sich in Zukunft wohl Boris Johnson. Seit Montag ist seine Nachfolge als britischer Premier und Tory-Parteispitze bekannt. Der Rest der Woche verlief für die Britische Insel hingegen alles andere als ruhig. Wir legen unseren Fokus auf die politische Haltung der neuen Premierministerin und des neuen Staatsoberhauptes und was diese für Grossbritannien bedeuten:
Wechsel in grossem Stil in Grossbritannien.
Liz Truss ist die 56. Premierministerin des Vereinigten Königreichs und die 15. unter Queen Elizabeth II gewesen, sie ist nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte Frau im Amt. Geboren wurde sie als Mary Elizabeth Truss und war damit von Dienstag bis Donnerstag das erste Regierungsoberhaupt, das den gleichen Vornamen trägt wie die regierende Monarchin.
Hört man auf Diplomaten und Rechtsprofessorinnen in London, wäre der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak der pragmatischere und wahrscheinlich auch kompetentere Premierminister, aber ihre Rhetorik und die Werte, für die Truss derzeit steht, kommen dem Ideal des Tory-Stammwählers näher.
In ihrer politischen Karriere hat Liz Truss bereits mehrere Male gezeigt, dass sie ihr Wertesystem rasch neu ausrichten kann, wenn sie es für richtig hält. Aufgewachsen in einem politisch links orientierten Haushalt, schloss sie sich als Jugendliche den Liberaldemokraten an. Bei einem Parteitag hielt sie eine Rede, wo sie sich für die Abschaffung der Monarchie einsetzte.
Später dann der Wechsel zu den Konservativen, wo sie vor der Brexit-Abstimmung überzeugt für das “remain”-Lager eintrat, also für den Verbleib in der EU. Nach dem Referendum 2016 gelangte sie zur Ansicht, dass der Brexit doch der richtige Weg für Großbritannien sei. Von Theresa May wurde sie zur ersten weiblichen Justizministerin ernannt. Als May 2019 aus dem Amt gedrängt wurde, erwog sie kurz, für den Parteivorsitz zu kandidieren, unterstützte dann aber doch Boris Johnson. Der machte sie nach seiner Wahl zur Ministerin für Internationalen Handel und 2021 schliesslich zur Aussenministerin.
Nach Einzug in die Downing Street 10 räumte Truss ihr Kabinett aus. Sie “fegt mit eisernem Besen” durch, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. Zum Start fliegen praktisch alle raus, die ihren Gegenkandidaten unterstützt hatten und holt ihre loyalsten Weggefährten in die Regierung.
Viele Weggefährt:innen sollen ihr geraten haben, nicht den gleichen Fehler wie ihr Vorggänger zu machen und lieber nach Kompetenz statt Loyalität zu entscheiden. Truss hat sich doch eher für den Johnson-Weg entschieden. Gesundheitsministerin Thérèse Coffey gilt als ihre engste Freundin im Parlament, Finanzminister Kwasi Karteng wohnt in derselben Straße wie Truss in Greenwich im Londoner Südosten. Auch Außenminister James Cleverly wohnt in der Nähe, weshalb Truss und ihre wichtigsten Minister im Parlament die "Greenwich Gang" genannt werden.
Politik:
Von Truss ist eine deutlich andere Arbeitsweise zu erwarten als von Johnson. Anders als Johnson - dem es immer wichtig ist, die beliebteste und lustigste Person in einem Raum zu sein - ist es Liz Truss egal, was die Leute von ihr denken. Sie gilt als hartnäckiger, kompromissloser und sozial ungeschickter Workaholic. Ihre Empathielosigkeit um Umgang mit Mitarbeiterinnen ist legendär.
In der internationalen Politik geht Truss und damit in Zukunft wohl auch Grossbritannien deutlich auf Distanz zu Russland, aber auch China. Die Konservativen nehmen inzwischen China nahezu geschlossen als Bedrohung war. Viele in der Partei unterstützen die Idee des Decoupling, des Auflösens gegenseitiger wirtschaftlicher Verflechtungen.
Innenpolitisch steht ihr als Premierministerin vor allem ein harter Winter bevor. Die britischen Energiepreise sind in unzumutbare Höhen geschnellt, die Insel verfügt über viel zu wenig Gasspeicher und die Inflation befindet sich im zweistelligen Bereich, und eine Rezession scheint unausweichlich. Für den Herbst sind bereits zahlreiche Streiks angekündigt und Expert:innen warnen vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems und anderer öffentlicher Dienstleistungen im Winter.
Am Donnerstag stellte Truss ein 150-Milliarden-Pfund-Paket vor, mit dem britische Haushalte maximal 2’500 Pfund für Gas und Strom bezahlen sollten.. Wie dieses finanziert werden soll, wo doch der Staatsapparat aus Tory-Sicht entschlackt und die Industrie durch Steuererleichterungen unterstützt werden soll, liess Truss erst einmal offen. Und musste es auch nicht sofort erklären. Denn dann kam die Nachricht vom Tod der britischen Königin. Das Parlament ruht die nächsten Tage, die Oppisition hält sich aus Respekt gegenüber der Queen zurück mit lauter Kritik an Truss.
Und doch bedeutet das Ableben von Queen Elizabeth II auch ein Risiko für Liz Truss. Sie ist nun die Premierministerin, die das Vereinigte Königreich durch eine Zeit der Trauer führen muss. Einfach wird das nicht, denn der Tod von Elizabeth II ist nicht weniger als eine Katastrophe für das Land.
Mit dem Tod der Queen ist die Person nicht mehr da, die das Vereinigte Königreich jahrzehntelang zusammengehalten hat, gerade auch zuletzt. Ob Brexit, Corona oder Energiekrise, Elizabeth II war trotz aller Unsicherheiten immer so etwas wie der Anker für viele Bürgerinnen und Bürger. Egal, wie schlimm es auch war, an ihr konnte man sich irgendwie festhalten.
Auf sie folgt King Charles III, der im Gegensatz zu seiner Mutter eine deutlichere Haltung zur Politik einnahm. Seine Briefwechsel mit früheren Premierminister sind berühmt. Sie sind voller Ratschläge, Meinungen, Hinweise und auch Fragen. “Ich bin nicht so dumm”, antwortete Charles in einer BBC-Dokumentation auf die Frage, ob er sich als König immer noch so häufig in die Politik einmischen wird, wie er das als Kronprinz getan hat.
Nun erwarten King Charles und Prime Minister Truss wöchentliche Gespräche miteinander, um sich über politische Themen auszutauschen. Wie die Stimmung sein wird, wenn beispielsweise Liz Truss ihre Pläne, Gas mittels der umstrittenen Fracking-Methode zu fördern, um unabhängiger von Importen zu sein, dem Staatsoberhaupt vorstellt, darüber kann nur spekuliert werden. Charles setzte sich bereits als Kronprinzen vermehrt für Umweltthemen ein, gilt als einer der ökologischsten in der royalen Familie. Inwiefern er sich mit der wirtschaftsfreundlichen Truss anfreunden wird, wird sich zeigen müssen.
Schweiz will Standort für Atom-Endlager gefunden haben.
Das Bundesamt für Energie (BFE) bestätigte am Samstag Nachrichtenberichte über den Entscheid. Von den drei zur Auswahl stehenden Standorten soll aus geologischer Sicht das Tiefenlager im Gebiet “Nördlich Lägern” entstehen. Die Region liegt im Zürcher Unterland, umfasst 12 Gemeinden im Kanton Zürich und drei im Kanton Aargau, in der rund 52’000 Menschen wohnen. Im Tiefenlager sollen schwach-, mittel-, und hochradioaktive atomare Abfälle für zehntausende bis hunderttausende von Jahren versenkt werden.
Hintergrund:
Seit fast 50 Jahren wurde in der Schweiz nach einem geeigneten Standort für die Lagerung radioaktiver Abfälle gesucht. Dafür gab es neben dem Standort Nördlich Lägern die Gebiete Zürich Nordost und Jura Ost. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, kurz Nagra genannt, erforschte die letzten Jahre die Geologie der Schweiz und wählte die drei genannten Gebiete als mögliche Standorte aus. Gegenüber SRF begründete Nagra-Chef Matthias Braun die Wahl für den Standort Nördlich Lägern wie folgt: “In Nördlich Lägern haben wir den besten Standort für ein Tiefenlager gefunden, mit den grössten Sicherheitsreserven. Erfreulich ist, dass wir einen eindeutigen geologischen Entscheid haben. Die Geologie hat gesprochen.”
Die wichtigsten natürlichen Barrieren bei einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle sind stabile und dichte Gesteinsschichten. Sie sollen verhindern, dass Radioaktivität aus dem Tiefenlager austreten kann.
Nach Angaben des Kantons Zürich liegt im Zürcher Unterland mit dem Opalinuston ein Gestein für das Tiefenlager vor, das praktisch wasserundurchlässig ist und sich selbst abdichtet, wenn es mit Wasser in Kontakt kommt. Geologen hätten zudem die Langzeitstabilität der Gesteinsschicht als günstig beurteilt, heisst es weiter. Gemäss Erkenntnissen der Nagra aus den Tiefbohrungen sei der Opalinuston sehr dicht.
Was jetzt passiert:
Die Nagra will gegen Ende 2024 ihr Gesuch beim Bund einreichen. Der Bundesrat dürfte Ende 2029 den definitiven Standortentscheid fällen. Danach muss das Parlament das Lager genehmigen. Es ist absehbar, dass es dazu auch noch eine Volksabstimmung geben wird. Geplanter Baustart ist 2045 und erste Abfälle könnten dann um das Jahr 2050 eingelagert werden. Danach folgt eine «Beobachtungsphase», die 50 Jahre lang dauern soll. Im Jahr 2115 soll das Lager dann verschlossen werden.
In der Region kommt der Entscheid nicht gut an. Der Gemeindepräsident von Stadel (ZH): “Es gibt doch keinen Ort, der ein Tiefenlager auf seinem Gebiet will”.
Für die Grünen und die FDP des Kantons Zürich ist klar, dass Schweizer Atommüll auch in der Schweiz entsorgt werden müsse. Dadurch sei auch ein Tiefenlager notwendig. Die Zürcher SVP und SP hielten in einer ersten Reaktion fest: Sollte sich erweisen, dass Nördlich Lägern das sicherste Gebiet sei, sei dieser Standortentscheid zu akzeptieren.
Das deutsche Bundesumweltministerium reagierte am Samstag harrsch auf den schweizer Entscheid, das Endlager an der Grenze zu Deutschland zu errichten. Die grenznahe Lage beim baden-württembergischen Ort Hohentengen am Hochrhein “stellt sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für diese und umliegende Gemeinden eine Belastung dar.”
Redaktionsschluss: 17:15
Weekly 36/2022
Headerbild von Milad Fakurian via Unsplash
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